Wuppertal Wenn der Autor zum Hausbesuch kommt
Wuppertal · Lesungsformat des Literaturhauses, „zwischen/miete“, machte WG-Küche zur Bühne.
Ein Autor liest am Tisch aus seinem Buch, gespannte Gäste hören zu und ein Moderator stellt Fragen: So weit nichts Ungewöhnliches für eine Lesung. Allerdings erklang „Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat“ zwischen Herd und Bringdienst-Flyern. Denn Demian Lienhard las seine Passagen in der Reihe „zwischen/miete“, und das hieß: Eine WG-Küche wurde zur Bühne.
Nach Bonn, Münster und anderen Orten war die Wohnung in der Moritzstraße die erste Station in Wuppertal. Der Abend war schwülwarm, kaum zehn Zuhörer waren gekommen, die Küche freilich gut gefüllt. Entdeckt hatte Organisator Tilman Strasser die Idee in Freiburg, er brachte sie zunächst ans Kölner Literaturhaus mit, bis sie in Kooperation mit dessen Pendant am Haspel auch ins Tal kam. Er kannte auch den Mit-Gastgeber: Moritz Kirk, nicht etwa Student, dafür Metallbaumeister, der mit drei Freunden am ausgewählten Leseort lebt, genauer: kocht und isst.
Natürlich gehörte die Neugier zum Format. Den einen Gast interessierte spontan das Festival-Souvenir am Kühlschrank, den anderen das Basilikumpflänzchen auf der Spüle. Doch im Mittelpunkt stand der Roman: Die Ich-Erzählerin Alba verbringt ihre Jugend im Zürich der Achtziger, Neunziger Jahre; man erfährt von ersten Partnern, aber auch zunehmend von harten Drogen. Immer geprägt von einem Subjekt mit speziellem Humor und Hang zum Fabulieren. Trotz viel Heroin geht es nicht nur um eine Suchtbiografie, eher um eine Figur mit Abgründen und ihren Umgang damit: „Mancher verdünnt seine Lebenslügen mit irgendwelchen Wodka-Imitaten“, sagt die Protagonistin trocken, andere springen in den Tod - aber: „Ich habe Höhenangst.“
Ein Autor mit Routine und Witz und eine Figur mit Abgründen
Lienhard hatte zentrale Passagen ausgewählt, die dritte markierte Albas Absturz in Heroinkreise, in denen das wohl damals real üblich war: „Ich frage mich, warum das nicht jeder nimmt. … Aber sie tun es ja alle.“ So irritierend dieser Befund für naive Nicht-Züricher sein mochte, war es Teil von Albas Versuchen, mit alten Wunden klar zu kommen. Letztlich wie zuvor bei ersten Zärtlichkeiten mit ihrem Freund Jack: „Jetzt weiß ich, dass es nur richtig ist, dass in dem Moment, in dem ich endlich zu leben anfange, jede Empfindung einzeln und unendlich langsam auf mich kommt.“
Für Gastgeber Moritz war es kein alltäglicher Abend. Wildfremde in die eigenen vier Wände zu lassen, sah er aber nicht als Wagnis: „Ich habe wenig kulturelle Teilhabe“, sagte der viel beschäftigte Selbstständige, der sich selten zu Lesungen aufrafft. An diesem Abend, resümierte er pragmatisch, sei die Kultur zu ihm ins Haus gekommen.
Dass der Abend als Lesung funktionierte, lag auch an Moderator Strasser, dessen Routine und Witz man sich auch im Saalformat vorstellen mochte. Für den Autor galt das sowieso: Gediegen gekleidet und markant in der Stimme füllte er beim Vortrag den Raum. Der Charme des Alternativen drang nicht in den Vordergrund, Altglas oder Pizzakartons blieben sympathische Nebensache. Abstrahieren musste der Zuhörer eigentlich weniger vom Ort als von der Männerstimme, die ja eine weibliche Ich-Figur las. Auch Lienhard selbst empfand weniger die Situation, mehr das kleine Publikum als prägend: „Bei mehr Zuhörern entwickelt sich eine andere Dynamik.“ Aber wenig Zulauf erfahren Lesungen ja nicht nur in WGs.
Mit den durchaus anspruchsvollen Gesprächen schien die Reihe auch eine Adresse für literarisch Versierte. Til Strasser fragte etwa nach Parallelen zwischen Lienhards Brotberuf als Archäologe, dieser verglich seine Arbeit mit dem Legen von Schichten und gab damit auch Einblick in die komplexe Konstruktion mit Bezügen und Metaebenen. Doch kam das Setting spätestens nach Lesungsende noch zu seinem Recht: Wer mochte, traf sich mit Autor und Gästen noch auf einen Plausch zum Bier auf dem Balkon – fast wie beim Ende einer WG-Party.