Afghanistan-Krise „Sie ist sich sicher, von den Taliban getötet zu werden“

Wuppertal/KabulAfgahni · Maria Shakura von der Diakonie Wuppertal kennt die Ängste der Afghanen.

Zahlreiche Menschen fordern in Demonstrationen immer wieder mehr Hilfe für Schutzsuchende aus Afghanistan.

Foto: epd/Rolf Zoellner

Maria Shakura telefoniert und mailt momentan täglich mit Menschen, die in Afghanistan festsitzen und um ihr Leben fürchten. Die Mitarbeiterin der Flüchtlingsberatung der Diakonie Wuppertal hat in den letzten sechs Jahren weit über 1000 Flüchtlinge aus Afghanistan begleitet. „Pro Tag erreichen uns zirka 40 bis 50 Anrufe oder Nachrichten auf Telegram und etliche E-Mails, teilweise direkt aus Afghanistan. Wir sind seit der Übernahme Kabuls mit mehreren Hundert afghanischen Menschen in Kontakt“, sagt Shakura. „Beinahe jeder unserer Klienten, die wir hier in Wuppertal betreuen, hat Angehörige, die betroffen sind und um ihr Leben fürchten. Das Ende der Evakuierungen ist ein Schock für alle.“

Eine junge Frau, die zuletzt bei beim Fernsehsender Tolo TV als Reporterin gearbeitet hat, ist die Kusine eines Geflüchteten, der seit einigen Jahren in Wuppertal lebt und von Maria Shakura begleitet wird. „Sie ist erst 20 und die Familienernährerin für ihre Mutter, Großmutter und zwei minderjährige Geschwister, da der Vater verstorben ist. Drei ihrer Kollegen wurden mutmaßlich von den Taliban getötet, ich habe einen muttersprachlichen Bericht darüber gesehen. Man war schon bei ihr zu Hause, daher hält sie sich bei Bekannten versteckt“, berichtet Shakura, die telefonischen Kontakt zu der jungen Frau hat.

„Sie ist vollkommen verzweifelt, weil sie sicher ist, getötet zu werden, wenn man sie findet. Sie ist in jeder Hinsicht bedroht, wegen ihrer Arbeit, weil sie eine junge Frau ist und weil die Familie vielleicht verhungern wird, wenn sie nicht arbeiten kann“, erklärt die Diakonie-Mitarbeiterin.

Aber auch Unbekannte wenden sich in Angst um ihre Familie an die Flüchtlingsberatung: „Einmal war hier ein vollkommen verzweifelter Jugendlicher, den ich gar nicht kannte, der mir einen Live-Stream aus dem Flughafengelände in Kabul zeigte, in dem wild geschossen wurde und wo sich seine verzweifelt schreiende Mutter mit den Geschwistern befand“, berichtet Shakura. 

Angst vor Misshandlung und Ermordung durch die Taliban

Die Menschen, die von der Flüchtlingsberatung der Diakonie Wuppertal als gefährdet gemeldet wurden, sind Ortskräfte, GIZ Mitarbeiter, Journalisten, Mitarbeiter von NGOs, Frauenprojekten und staatlichen Einrichtungen, Sicherheitskräfte sowie Lehrer. „Etliche von ihnen sind enge Familienangehörige von bereits hier anerkannten Flüchtlingen, die Richter, Anwältinnen, Journalistinnen, Soldaten, Polizeikräfte waren“, berichtet Shakura.

Die gefährdeten Menschen und deren Angehörige befürchten Misshandlung und Ermordung durch die Taliban. „Diejenigen, mit denen wir sprechen, bestätigen, dass die Taliban von Tür zu Tür gehen und Menschen suchen, dass Frauen die Arbeitsplätze nicht aufsuchen können und sich kaum noch auf die Straße wagen. In den ländlichen Gegenden können Frauen vielerorts das Haus nicht mehr ohne männliches Familienmitglied verlassen, was es Witwen teilweise unmöglich macht, Essen zu kaufen. Junge Frauen haben Angst, von den Taliban zwangsverheiratet zu werden“, weiß Shakura aus den Gesprächen mit den Betroffenen.

„Wir dürfen die Menschen in Afghanistan nicht im Stich lassen“, sagt Superintendentin Ilka Federschmidt für die Evangelische Kirche in Wuppertal. „Wir schließen uns dem dringenden Appell an, alles Menschenmögliche zu tun, die gefährdeten Menschen auf zivilem Weg aus dem Land zu holen.“ Kirche und Gemeinden vor Ort würden auch dann mitwirken, wenn es darum geht, die Menschen vor Ort aufzunehmen.