Was glauben Sie denn? Wuppertaler Kirchenkolumne: Für die Ernte danken und teilen

Wuppertal · Der Oktober ist der Monat der Ernte. In den christlichen Kirchen feiern wir das jedes Jahr mit einem Erntedankfest am ersten Oktoberwochenende.

Antonia Dicken-Begrich

Foto: Sabine Damaschke

Es ist ein fröhliches und traditionsreiches Fest, das in den unterschiedlichsten Zeitumständen und kulturellen Kontexten gefeiert wurde und wird.

Die vielfältigen Erträge der Natur im Herbst, die die Lebensgrundlage des Menschen und – in früheren Zeiten – vor allem ein Überleben im Winter sicherten, stehen im Mittelpunkt. Heutzutage sind sie das ganze Jahr über in Supermärkten verfügbar, und so sehen wir Kürbisse, Äpfel, Kartoffeln und Getreideähren, mit denen zum Erntedankfest die Kirchen geschmückt sind, heute eher symbolisch. Sie stehen für die Ergebnisse menschlicher Mühe und Arbeit, für all das, was der Mensch mit seinen Fähigkeiten schafft und erreicht.

Im christlichen Verständnis geht es in der Freude über die sichtbaren Früchte der eigenen Arbeit aber nicht in erster Linie um den Stolz auf das, was ich alles kann und leiste, und um die Freude darüber, was dabei herauskommt. Vielmehr geht es um Dankbarkeit in dem Bewusstsein, dass ich all dies eben nicht nur aus eigener Kraft erreiche. Es geht um die Einsicht, dass mir die Möglichkeit zu solch erfolgreicher Arbeit geschenkt ist. Meine Lebensgrundlage geht zurück auf Gottes Schöpfung, ich bin deren Teil und trage für ihren Erhalt Verantwortung. Ich kann und darf mich an ihr erfreuen, ganz besonders im Herbst, in dem ich so reichlich beschenkt werde mit den Früchten und Erträgen der Natur.

Wenn ich den Dank für das Geschenkte in den Mittelpunkt stelle, dann ist dabei auch klar, dass meinem Nächsten diese Geschenke ebenso zustehen wie mir. Denn Gott sorgt für alle seine Geschöpfe, die nach seinem Bild erschaffen sind, indem er die Lebensgrundlage schafft und bereitstellt. Meine Mitmenschen haben als Teil der Schöpfung Gottes dasselbe Recht auf Teilhabe an der Fülle des Vorhandenen wie ich selbst. Die Realität aber steht dazu im Widerspruch: Die Erträge der Ernte im wörtlichen und im übertragenen Sinne, als sichtbare Ergebnisse menschlicher Arbeit, waren noch nie gerecht verteilt und sind es heute auch nicht, im Gegenteil.

So sind nach Erhebungen des paritätischen Wohlfahrtsverbandes in unserem reichen Land 16,8 Prozent der Menschen arm, darunter ein Fünftel Kinder und eine immer größere Gruppe alter Menschen. Wir wissen, dass sie neben ihren existenziellen Nöten von der Teilhabe an Bildung, an Kultur, an gesellschaftlichem Miteinander weitestgehend ausgeschlossen sind. Soziale Träger, wie auch Diakonie und Caritas, protestieren zurzeit gegen weitreichende geplante Kürzungen im sozialen Bereich, die dazu führen werden, dass benachteiligten Menschen keine unterstützenden und integrierenden Angebote mehr gemacht werden können. Und dies in einer Situation, in der diese Träger ohnehin mangels auskömmlicher Refinanzierung am Rande ihrer wirtschaftlichen Existenz angekommen sind, kleinere Träger bereits aufgeben mussten oder dies für die nahe Zukunft befürchten.

Tafeln erleben einen Ansturm auf kostenlose Lebensmittel, den sie kaum mehr bewältigen können. Statt einer großzügigen Teilhabe aller am gemeinschaftlichen Reichtum wird Fürsorge reduziert, findet in der Mitte unserer Gesellschaft eine teils aggressive Abschottung gegenüber der Not und Bedürftigkeit unserer Mitmenschen statt, als gäbe es da gar nichts mehr zu verteilen, als müssten Besitzstände verteidigt werden.

Wenn wir die Botschaft des Erntedankfestes ernst nehmen, müssen wir einen anderen Weg gehen, der solidarisch in Wort und Tat die Mitmenschen in den Blick nimmt und den Auftrag zum Teilen ernst nimmt. Dafür kann und muss sich jeder Einzelne einsetzen, diese Forderung müssen wir aber auch im öffentlichen Raum vertreten und energisch widersprechen, wenn die Schwächsten der Gesellschaft in Wort und Tat ausgegrenzt und in ihrer Menschenwürde abgewertet werden.

Vor beinahe dreitausend Jahren hat der Prophet Jesaja, so überliefert es uns das Alte Testament, formuliert, worum es geht: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn, und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!“ Diese Forderungen sind über die Jahrtausende klar und richtig geblieben. Der herbstliche Erntedank erinnert uns daran, dass es eine dauerhafte Aufgabe für uns ist, sie umzusetzen.