Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Ehrlichkeit und Zusammenhalt angesichts der Zerbrechlichkeit

Wuppertal · Es ist unsere Entscheidung.

Uta Atzpodien macht sich diesmal Gedanken über positive Zukunftsbilder in einer gefährdeten Welt.

Foto: Ralf Silberkuhl

Ein schmaler Baum steht mitten auf der Bühne im Foyer des alten Schauspielhauses: „Tree Tree“ heißt die Soloperformance, in der Kenji Shinohe mit filigranen Bewegungen und eindringlich-körperlichen Bildern von den Folgen einer Naturkatastrophe, eines Tsunamis in Japan erzählt, der seine Heimatstadt zerstörte. Nur eine Kiefer blieb stehen: ein Symbol für Hoffnung und Widerstand. Damals wurden Origami-Faltpapierkunstwerke als Trost an die Betroffenen geschickt, eine gut gemeinte, wenig helfende Geste, so der Choreograph, der die Papierfiguren in sein schlichtes Bühnenbild integrierte.

In einem eigens für das Fragile-Festival erarbeiteten Part konfrontierte er das Publikum mit der eigenen Zivilcourage: Mit Bindfäden hatte er beim Tanzen seine Finger so schmerzhaft und tief umwickelt, dass es ihm eine ganze Weile nicht gelang, sich mit einer Schere davon wieder zu befreien. Ganz anders als am Premierentag wagte es niemand aus dem Publikum, ihm helfend zur Seite zu stehen. Viele hat diese Erfahrung tief mitgenommen, bekannten sie hinterher voller Ehrlichkeit. „It is our decision“, so Kenji Shinohe im Publikumsgespräch: Ja, es ist unsere Entscheidung, wie wir handeln, helfen und zusammenhalten.

Vor wenigen Tagen endete Fragile, das internationale Festival für Nachhaltigkeit und Kunst im entstehenden Pina Bausch Zentrum. Mit eindringlich-berührenden Performances, wie „Amazonia 2040“ von Martha Hincapié Charry oder „A String Section“ der Gruppe Reckless Sleepers, führte es uns die Bedrohung und Zerbrechlichkeit der Welt vor Augen und machte sie sinnlich erfahrbar. In letztgenannter Produktion zersägten sechs Tänzerinnen in kurzen schwarzen Kostümen stoisch die Beine der Stühle, auf denen sie balancierten, nahmen Sitze und Lehnen auseinander, bis zu deren gänzlicher Zerlegung.

Doch wie der bekannte Klimaforscher Schellnhuber kürzlich im Deutschlandfunk betonte, braucht es angesichts all der Fragilität und Unehrlichkeit, wie es leider auch die wenig ernst genommenen Vereinbarungen des Pariser Klimaabkommens 2015 deutlich gemacht haben, positive Erzählungen, die uns weiterbringen. Auch das transportierte das Festival mit Produktionen wie „Lake Life“ von Kate McIntosh, das als gemeinschaftliches Spiel und Fest eine traumhafte Welt der Veränderung spürbar machte: Sie stellte der Zerbrechlichkeit Vertrauen, Spaß und Imagination entgegen.

Auch die partizipative Tanzperformance mit Krump-Tanzenden „Ich kann’s nicht lassen“ gab einen Geschmack davon, was gemeinsam im Tanz ausgedrückte Emotionen bewirken können. Ich erlebte sie tanzend mit einer jungen ukrainischen Gruppe und fragte mich: Wie wäre es, wenn unser gesamter Stadtrat partizipativ tanzend teilnähme oder gar unser Bundestag? Auch wenn sie viel anderes zu tun haben, könnte vielleicht solch eine künstlerisch-körperliche Erfahrung mehr Ehrlichkeit und Zusammenhalt in der Politik bewirken.

Die Fragile-Runde „Aufbruch in eine Zukunft für alle“ moderierte die Aktivistin Lina Börger, einnehmend, offen und ehrlich: Positive Zukunftsbilder sind gefragt. Künstlerische Perspektiven, kulturelle Bildung und das Einbeziehen junger Stimmen unterstützen den Zusammenhalt. Auch die entstehenden Gärten an der Nordbahntrasse – wie der „Weltacker“ oder der „Garten der Religionen“ – tragen dazu bei.

Sie setzen den von Kriegen und Zerbrechlichkeit geprägten Wogen etwas entgegen: Kunst und Kultur schaffen Versöhnung und Verbindung, wie es bei der Verleihung des wunderbaren Kunst- und Kulturpreises der Enno und Christa Springmann-Stiftung, am Wochenende hieß. „Es ist unsere Entscheidung“, liebe Politik, kommunal bis bundesweit, der Kultur (auch finanziell) den Raum zu geben, den sie braucht, um der uns allen so präsenten Zerbrechlichkeit entgegenzuwirken.

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