Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Kultur gegen Brandstifter
Wuppertal · Theater als richtiger Ort für eine Schulung in Mündigkeit.
Vor fünfzehn Jahren – und genau 50 Jahre nach dessen Uraufführung – inszenierte ich am Stadttheater Annaberg-Buchholz den modernen Klassiker „Biedermann und die Brandstifter“ von Max Frisch. Damals las ich das Stück im Lichte der vor allem im Osten längst verwurzelten „Neuen Rechten“. Diese verzichtete – wie unsere „Brandstifter“ – zunehmend auf martialische Signale wie Springerstiefel, Glatzen oder Bomberjacken und etablierte sich in der Gesellschaft durch eine Doppelstrategie aus Einschüchterung und Anbiederung: Ihre Akteure spendeten Kuchen beim Kinderfest und Bälle für den Sportverein. Sie organisierten „Hausaufgabenhilfe und Ferienbetreuung“ oder fuhren „an die mitteldeutsche ‚Hochwasserfront‘, um Sandsäcke zu schleppen“ (Die Zeit, 21. Juni 2007). Nur hin und wieder entfesselte sich die Gewalt.
Hunderttausende Menschen sollen allein letztes Wochenende in Deutschland auf die Straße gegangen sein, um „gegen Rechts“, Hass und Hetze, für Solidarität und eine starke demokratische Gesellschaft zu protestieren. Diese Dimensionen erstaunen und machen Mut. Beinahe wirkt es, als hätten wir nur auf ein Signal gewartet, um endlich hervortreten zu können: Wir sind da, uns eint etwas, wir wollen gemeinsam unsere Zukunft gestalten.
Auslöser waren die Enthüllungen der Journalistenplattform Correctiv: Bereits im November 2023 waren AfD-Politikerinnen, Neonazis und finanzstarke Unternehmer in einem Hotel bei Potsdam zusammengekommen, um nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland zu planen. Doch alles, was jetzt von diesem „Geheimtreffen“ bekannt wurde, liegt seit Langem in den Wahlprogrammen und Aussagen der AfD offen zu Tage, wie bei den Brandstiftern, denen Biedermann wieder und wieder Vertrauen schenkt: „Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen. Für mehr Sicherheit. Für mehr Gerechtigkeit. Für den Erhalt unserer Identität. Für Deutschland“, antwortete Bundestagsmitglied René Springer auf die Aufregung um jene Zusammenkunft.
Zusätzlich verbreitet und näher gebracht wurden ihre Inhalte durch die Inszenierung der Recherchen am Berliner Ensemble durch Regisseur Kay Voges. Über 40 Theater, Opernhäuser, Festivals und Kultureinrichtungen in ganz Deutschland beteiligten sich kurzfristig am Livestream der szenischen Lesung und verbreiteten ihn über ihre Kanäle. Die Aufzeichnung kann nach wie vor abgerufen werden. Sie wirkt ein wenig dröge, didaktisch, dennoch ist es kein Zufall, dass das Theater als uralter Versammlungsort diesen Weg der Auseinandersetzung sucht und bietet. Das Theater, so formuliert es Voges in einem Interview etwas altmodisch, kann „der richtige Ort“ sein, „um eine Schulung in Mündigkeit zu bekommen“.
Schon vor 15 Jahren konnte die „Neue Rechte“ die Früchte ihrer kontinuierlichen Jugend- und Kulturarbeit ernten, „all der Konzerte, Fußballturniere, Boxtrainings, Heimatabende, Politschulungen, Aufmärsche und sonstigen gruppendynamischen Selbstvergewisserungsangebote in strukturschwachen Regionen“. (Die Zeit, ebd.) Jede Lücke, die sich im Gemeinwesen durch Haushaltskürzungen in Kultur, Sport oder Freizeit auftat, wurde für den „Kulturkampf“ genutzt, wie es in der Szene heißt. Jeder geschlossene Jugendtreff, Theater oder Kino, jede aufgegebene (oder unterwanderte) Kultureinrichtung spielt somit extremistischen Strömungen zu.
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