Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Selig sind die Sanftmütigen

Wuppertal · Eine Weihnachtskolumne.

Torsten Krug

Foto: Andreas Fischer

Heute fällt es mir schwer, nicht zwei Veranstaltungen, die beide am vergangenen Sonntag auf der Insel stattfanden, als Ausgangspunkt meiner Kolumne zu nehmen, ist es doch jenes volle Wochenende, das ich noch in den Knochen spüre und weshalb ich diese Zeilen mit Fieber schreibe – stärkere Eindrücke gab es nicht. Es begab sich aber zu der Zeit des Sonntags, dass am Morgen Hans Werner Otto sein neues Buch „Hier unten leuchten wir“ mit starker Musikbegleitung durch Tanja Kreiskott und Klaus Harms präsentierte: Vier Geschichten nach liebevollen Recherchen meist jüdischen Lebens in Wuppertal. Sehr viele waren gekommen und lauschten diesen Erzählungen von Vertreibung, Unterdrückung, Tod, aber auch der rührenden Geschichte um Ilse und ihre Pupse. Am selben Abend dann eine Veranstaltung der Armin T. Wegner Gesellschaft und des palästinensischen Partnerschaftsvereins Wuppertal-Salfit: „Friedliche Partnerschaft statt Hass und Gewalt“, der wir als Gastgeber – ich gebe es zu – mit leichter Sorge entgegensahen. Vorneweg: Es wurde ein großartiger, bewegender Abend.

An diesem Abend gab die Insel Raum unter anderem für gemeinsame Trauer, eingeleitet durch die klar gewählten Worte Dorothee Kleinherbers-Bodens, ehemalige Schulleiterin der Gesamtschule Else Lasker-Schüler, die betonte, wie sie auf allen Seiten Freundinnen und Freunde als Opfer der aktuellen Eskalation zu beklagen habe. Die Trauer griff der mittlerweile berühmte Pianist aus Syrien, Aeham Ahmad am Klavier auf und zauberte ein universelles Klagelied in die Ohren und Herzen des Publikums, das spätestens jetzt wie vereint schien. Uli Klan steuerte ein Wiegenlied auf Hebräisch und eine Eigenkomposition mit der immer leiser und eindringlich intonierten Zeile „Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen“ bei. Dann sahen wir von Schülern kommentierte Bilder aus Salfit, Aufnahmen von Partnerschaftsreisen, für die aktuell das Geld eingefroren ist. Die Erzählungen rührten auch durch ihre Selbstverständlichkeit, ihre jugendliche Freude am Leben und Lernen, an der vorurteilsfreien Begegnung mit dem Fremden. Eine Publikumsdiskussion am Ende des ersten Teiles brachte überwiegend Stille hervor. Was war das für eine Stille? Ich sah in Gesichter, in denen sich möglicherweise Ratlosigkeit spiegelte, Mitgefühl, Gedanken auf der Suche nach einem Ausweg aus der Eskalation – aber auch ein Bild von Gemeinschaft, der Möglichkeit, sich hier in einem gemeinsamen Raum begegnen und in der Pause lebhaft austauschen zu können, und sich ein wenig von der Musik des anschließenden Konzertes des Aeham Ahmad Trios trösten und stärken zu lassen. Ahmad ist ein großer Künstler, ein Stimmakrobat, der sein tief erfahrenes Leid – „der Pianist aus den Trümmern“ lautet der Untertitel seines berühmten Buches – in Kaskaden von Gefühlen zu verwandeln weiß. Ein Glücksfall, dass dieses Trio den Abend krönte.

Ein großer Augenblick,
der Mut gemacht hat

Und hier knüpfe ich direkt an meine letzte Kolumne und ihre Beobachtungen aus der digitalen Welt an, den Hass, die Stupidität und die Gleichgültigkeit, die uns in den  sogenannten Sozialen Netzwerke begegnen: Hier trafen diese Menschen tatsächlich aufeinander und begegneten sich in den Worten, ihren Blicken, in der Musik, in einem gemeinsamen Raum, an einem Kulturort. – Es war ein großer, Mut machender Augenblick.

Wir aber behielten alle diese Worte und Töne und Blicke und bewegten sie in unseren Herzen. Allen WZ-Leserinnen und Lesern eine besinnliche Zeit!

Anregungen an: kolumne@fnwk.de