Polizei-Tagebuch Die Polizei ist auch als Seelsorger gefragt
Wuppertal · Polizistin Nele Ernst berichtet von ihren Erlebnissen auf Streife in Wuppertal.
In jedem Nachtdienst ist normalerweise mit mindestens einer Ruhestörung zu rechnen, weshalb diese Einsatzanlässe mittlerweile zu einer Art Routine geworden sind. Aber da wir in jedem Einsatz immer wieder auf die verschiedensten Menschen treffen, kann man eigentlich nie so wirklich von „Routine“ sprechen. In einer der vergangenen Schichten hieß es also wieder „Ruhestörung“ und wir machten uns auf den Weg.
Am Einsatzort angekommen, warteten zwei mir bekannte Gesichter auf meine Kollegen und mich. Ich hatte schon mal dienstlich mit ihnen zu tun, da sie in der Vergangenheit wegen derselben Person bereits eine Ruhestörung gemeldet haben. Es ging um einen psychisch auffälligen Nachbarn, der zur Nachtzeit ständig gegen die Wände oder den Boden in seiner Wohnung schlägt – ob mit seinen Händen oder teilweise auch mit einem Hammer. Dass man dabei als Nachbar nicht schlafen kann, ist mehr als verständlich. Wir machten uns also auf, um mit der betroffenen Person zu sprechen.
Diese gab uns gegenüber an, dass sie selbst immer ein Klopfen aus den Wänden hören und lediglich darauf „antworten“ würde. Genau so hatte die Person es bei meinem ersten Einsatz mit ihm in der Vergangenheit auch geschildert. Auch damals sind mein Kollege und ich an dem Versuch gescheitert, der Person zu erklären, dass niemand klopfen würde und er deswegen auch nicht zurück klopfen müsse. Auch diesmal wurde er zunächst zur Ruhe ermahnt und wir erklärten ihm, dass wir eine Ordnungswidrigkeitenanzeige gegen ihn schreiben würden, sofern er sich im weiteren Verlauf der Nacht nicht ruhig verhalten würde.
Wenige Minuten nach dem ersten Einsatz ging es (wie bereits erwartet) das zweite Mal zur gleichen Örtlichkeit. Jetzt fing die Person an, sich uns gegenüber verbal aggressiv zu verhalten. Wir würden ihn nicht schlafen lassen, dadurch, dass wir ständig bei ihm klingeln und klopfen. Dass er selbst der Auslöser für unser wiederholtes Erscheinen war, wollte (oder konnte) er nicht einsehen. Neben der Ankündigung, dass wir nun die zuvor angedrohte Ordnungswidrigkeitenanzeige fertigen würden, mussten wir zudem androhen, ihn beim nächsten Einsatz in Gewahrsam zu nehmen. Da die Ruhestörung unmittelbar von ihm ausging und nicht beispielsweise von einer Musikanlage, die sonst als polizeiliche Maßnahme hätte sichergestellt werden können, blieb uns nichts anderes übrig. Und natürlich ließ auch der dritte Einsatz nicht lange auf sich warten.
Wieder wurden wir von der Person angeschrien, dass wir ihn nicht schlafen lassen würden. Glücklicherweise verhielt er sich während des Transportes zum Polizeigewahrsam aber insgesamt kooperativ – auch, wenn er den Grund des Ganzen noch immer nicht wirklich verstanden hatte – und seine Nachbarn konnten, zumindest für die wenigen restlichen Stunden der Nacht, endlich ruhig schlafen.
Bei einem weiteren Einsatz bestand der Verdacht, dass sich eine Person eventuell das Leben nehmen wollte. Auf der Anfahrt war für uns zunächst unklar, in welchem Zustand sich die Person aktuell befand. Wir waren schnell erleichtert, als uns auf Klingeln wenig später die Tür geöffnet wurde. Und ab diesem Zeitpunkt waren wir dann neben unserer Tätigkeit als Polizeibeamte in erster Linie Seelsorger. Wir verbrachten insgesamt mehr als zwei Stunden bei der Person, hörten uns die Sorgen und Probleme an und versuchten so gut wie es uns möglich war, für die Person da zu sein, während wir auf einen Facharzt warteten, der ihren genauen Zustand einschätzen musste. Die Hinzuziehung von entsprechend geschulten Fachkräften ist bei konkreten Selbstmordäußerungen, wie es auch hier der Fall war, ein absolutes Muss!
Am Ende des Einsatzes bedankte sich die Person, unter anderem bei meinen Kollegen und mir für unseren Einsatz und dafür, dass wir in dieser Situation einfach für sie da waren. Dass sich jemand so aufrichtig für unseren Einsatz bedankt, ist nicht die Regel. Deshalb haben wir uns, neben der Tatsache, dass wir der Person ein wenig helfen konnten, besonders darüber gefreut.