Begrabt mein Herz in Wuppertal Schrecklich, dieser Aberglaube

Wuppertal · Unser Kolumnist berichtet von Ritualen und damit verbundenen Glaubensfragen. Zu seiner Reform des Aberglaubens kam es indes nie.

Uwe Becker ist Chefredakteur des Satiremagazins Italien.

Foto: Joachim Schmitz

Der 17. Juni ist der 168. Tag des gregorianischen Kalenders, somit verbleiben noch 197 Tage bis zum Jahresende. Und dies ist meine 168. Kolumne. Zufall? Aber sicher! Meine 197. Kolumne erscheint planmäßig erst am 6. Januar des nächsten Jahres. Daraus lässt sich auch keine Parallelität herstellen, auch wenn man sich noch so viel Mühe gibt.

Ich wollte Ihnen allerdings auch etwas ganz anderes erzählen. Als mein Vater mir, ich war gerade zehn Jahre alt, den Aberglauben erklärte, wollte ich mich sofort den Anhängern dieser Religionsgemeinschaft anschließen. Ich fand es sehr spannend, kannte ich doch den Glauben nur von den traditionellen Religionen. Damals gab es für uns Kinder nur evangelisch und katholisch. Alles andere war unbekannt.

Ich war evangelisch, mein bester Freund katholisch, und bei denen wurde daheim vor dem Essen gebetet. Am liebsten wollte ich aber weder an Himmel und Hölle, noch an Gott und Teufel glauben. Mich faszinierte nur dieser geheimnisvolle Aberglaube, von dem mein Vater mir erzählte. Es gab aber leider keine offizielle Sekte oder Kirche, der man hätte beitreten können. Noch heute stelle ich mir gerne vor, wie ich mit einer Soutane bekleidet, oben auf der Kanzel stehe, um der Gemeinde freudig und fröhlich jeden Sonntag den Aberglauben zu vermitteln: „Und ich sage euch, schlüpft morgens zunächst mit dem rechten Fuß in den Pantoffel, dann fällt die Schwebebahn heute bestimmt nicht aus.“ Hätte es ein Kloster gegeben, in dem nur Mönche lebten, die dem Aberglauben verfallen wären, ich hätte meine Familie wohl früh verlassen, um auch mein Glück hinter dem klösterlichen Gemäuer zu finden. Die Katholische Kirche hält den Aberglauben zwar für Unsinn und Hexerei, aber ist es nicht eher wahrscheinlich, dass ein Unglück geschieht, wenn einem eine schwarze Katze von links über den Weg läuft, als dass die Jungfrau Maria von einem Geist geschwängert wird oder Jesus von den Toten aufersteht und dann zu seinem Vater in den Himmel fährt?

Ich bin als junger Mann aus der Kirche ausgetreten. Die eingesparten Groschen für die Steuer sammelte ich in einem Porzellanschwein. Als es zum ersten Mal gut gefüllt war, habe ich es geschlachtet und mir vom Inhalt einen WSV-Schal gekauft – Fußball ist ja auch so eine Art Religion. Ein weit verbreiteter Aberglaube bei uns Deutschen ist der, dass man seinem Gegenüber beim Prosten unbedingt in die Augen schauen soll, da man sonst Gefahr läuft, sieben Jahre schlechten Sex zu haben. Was den Aberglauben angeht, so hätte man mich als großen Reformator bezeichnen können. So wie einst Martin Luther den Glauben, wollte ich, hätte man mich gelassen, den Aberglauben modernisieren, verändern und alltagsgerechter machen. In meiner für das 21. Jahrhundert angepassten These, schaut man seinem Gegenüber, mit dem man gerade anstößt, nicht mehr in die Augen, sondern konsequent daran vorbei, dies verspricht nicht nur generell guten Sex bis ans Lebensende, sondern auch Sex mit der Person, an der man beim Anstoßen gerade heftig vorbeigeschaut hat.

In meiner Zeit als Bürokaufmann habe ich bei der Fahrt zur Arbeit immer auf dem selben Platz im Bus gesessen. Ich glaubte daran, sollte ich einmal nicht dort sitzen, würde ich meinen Arbeitsplatz verlieren. Tatsächlich war der Platz eines morgens besetzt, und ich musste mich woanders hinsetzen. Ich bin dann direkt zum Chef gegangen und habe gekündigt. Er wollte mich eigentlich nicht gehen lassen, aber meine Entscheidung stand fest. Für mich war das eine klare Glaubensfrage. Ich habe es ja so nicht gewollt, aber der Glaube – also mein Aberglaube. Ich glaube auch seit ein paar Jahren daran, dass ich wahrscheinlich 100 Jahre alt werde, wenn ich den Weg von meiner Wohnungstür zum Briefkasten immer in einem watschelnden Entengang zurücklege, egal, ob Nachbarn mich dabei beobachten oder nicht. Allerdings muss ich noch über dreißig Jahre auf diese schon arg befremdliche Art meine Post holen, um dieses biblische Alter zu erreichen. Wenn ich es einmal vergessen sollte, falle ich bestimmt sofort tot um. Schrecklich, dieser Aberglaube.