Musiktheater in Wuppertal Wuppertals Musiktheater nah am Puls der Zeit

Wuppertal · In den 1920er Jahren begründet Georg Salter das Ausstattungswesen als eigenständige künstlerische Ausdrucksform. Begeisterung für und Polemik gegen „Jonny spielt auf“.

 Erfolgreich:  Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ traf das Lebensgefühl der Zeit und wurde im Mai 1928 in Barmen aufgeführt (aus „Atem der Zeit“ - Univ. Ed. Wien).

Erfolgreich: Ernst Kreneks „Jonny spielt auf“ traf das Lebensgefühl der Zeit und wurde im Mai 1928 in Barmen aufgeführt (aus „Atem der Zeit“ - Univ. Ed. Wien).

Foto: Univ. Ed. Wien

Das Musiktheater in Wuppertal ist schon seit seiner Gründung in den 1870er Jahren stets auch ein Sprungbrett und eine wichtige Zwischenstation für große künstlerische Karrieren gewesen, auch international. Als Kapellmeister, Dirigent, Regisseur, Bühnenbildner, Opernsänger und -sängerin oder Choreografin brach man von hier aus auf zu neuen Ufern, prägte stilbildend renommierte Orchester oder ein ganzes Musikgenre, glänzte auf den Bühnen der berühmtesten Häuser oder revolutionierte den Tanz als Kunstform.

Ein Beispiel aus der Frühzeit ist Franz Lehár, der nach Johann Strauss (Sohn) und Jacques Offenbach vielleicht bedeutendste Komponist von Operetten. Er wurde 1888 als Primgeiger engagiert, erlebte „Barmen-Elberfeld als Segen“ und kam hier, wie er später bekannte, „zum ersten Mal mit dem wirklichen Theater in Berührung.“ Für Pina Bausch, vom damaligen Generalintendanten Arno Wüstenhöfer nach hartnäckigem Werben zur Spielzeit 1973/74 als neue Ballettdirektorin engagiert, bildete das Opernhaus den Ausgangspunkt ihrer beispiellosen Weltkarriere. Die anfangs heftig umstrittene Choreografin blieb allerdings in der Stadt und leistete mit ihrer Compagnie einen der herausragendsten künstlerischen Beiträge zum Theater im 20. Jahrhundert.

Für Georg Salter blieb das „Vereinigte Stadttheater“ eine kreative Zwischenphase. Er wurde zur Spielzeit 1925/26 als sogenannter Ausstattungsleiter engagiert und markierte damit eine wichtige Zäsur im lokalen Musiktheater. Bis dahin entwarfen alle Regisseure ihre oftmals improvisierten Bühnenbilder selbst. Salter gab seinen Einstand mit Richard Wagners romantischer Oper „Tannhäuser“. Sein neuer und ungewohnter Stil schien allerdings nicht auf Anhieb zu überzeugen: „Man modernisierte und vereinfachte die Szenen, ohne ins überstiegen Stilisierte und Primitive zu verfallen, das die veranschaulichende Musik Wagners ganz und gar nicht verträgt. Unserem Geschmack entsprechen aber trotzdem die bisherigen Szenen ihrer stärkeren Bildhaftigkeit besser. Recht kümmerlich sahen die auf die Festgäste wartenden Sitzbänke im Wartburgsaal aus.“ (General-Anzeiger für Elberfeld-Barmen, 7.9.1925)

Salters Modernisierung lag in der Abkehr vom gängigen naturalistischen oder fantastisch-realistischen Bühnenbild, das vor allem beim Publikum sehr beliebt war. Er bediente sich vielmehr einer deutlich reduzierten Bildersprache, wie sie erst zu Beginn der 1920er Jahre breitenwirksam entwickelt, erprobt und professionalisiert worden war und mit der sich das bis dahin eher handwerklich-technisch orientierte „Ausstattungswesen“ als eigenständige künstlerische Ausdrucksform emanzipierte. Salter, zuvor an der Volksoper Berlin tätig, kreierte bis 1927 Szenerien für etwa 100 Produktionen in Ballett, Schauspiel und Oper – für Strawinskys „Petruschka-Ballett“, Verdis „Aida“, Mussorgskys „Boris Godunow“, Mozarts „Zauberflöte“ oder Leoš Janáčeks „Jenufa“. Zudem stattete er Opern aus, die damals den Puls der Zeit schlagen ließen und oft die Hörgewohnheiten des Publikums auf die Probe stellten. Dazu gehörte Paul Hindemiths abendfüllendes Opernwerk „Cardillac“. Es war erst kurz zuvor in Dresden uraufgeführt worden und hatte in fortschrittlichen Kreisen große Aufmerksamkeit erregt. Die Oper des wegen seiner obszön-provokanten Einakter (z.B. „Sancta Susanna“ 1922) als „Bürgerschreck“ verschrienen Komponisten gilt bis heute als ein Schlüsselwerk der Neuen Sachlichkeit der 1920er Jahre. Das Barmer Premierenpublikum reagierte aufgeschlossen: „Jedesmal, wenn der Vorhang fiel, dauerte es einige Herzschläge lang, bis das Haus die bannende Erschütterung von sich abschüttelt, um die düstere Schönheit des Werks mit stärkstem Beifall zu grüßen.“ (Barmer Zeitung, 27.4.1927). Dirigiert war Franz von Hoeßlin, der seit 1926 als erster „Wuppertaler“ Generalmusikdirektor amtierte und regelmäßig in Bayreuth am Pult stand.

Wuppertal war für den gelernten Grafiker die letzte Theaterstation. Salter kehrte nach Berlin zurück, wo er zu einem der herausragendsten Buchgestalter der Weimarer Republik avancierte. Für alle damals wichtigen Verlage schuf er künstlerisch anspruchsvolle und zugleich werbewirksame Typografien und Umschläge für Bücher von Franz Kafka, Lion Feuchtwanger, Joseph Roth, Hermann Hesse und anderen. Weltberühmt wurde sein Umschlag für die Erstausgabe von Alfred Döblins Großstadtroman „Berlin Alexanderplatz“ (1929). 1934 emigrierte Salter in die USA.

Tonlage wird aggressiver und rassistisch aufgeladener

Nah am Puls der Zeit war Wuppertals Musiktheater auch mit Ernst Kreneks Oper „Jonny spielt auf“ (UA 1927), die im Mai 1928 im Barmer Haus auf die Bühne kam. Sie traf ganz das turbulente Lebensgefühl der Weimarer Republik und mischte gekonnt unterschiedliche Musikstile: Jazz, Puccini-Verwandtes, Operettenklänge. Außerdem holte die Oper den Alltag auf die Bühne, mit Hotel, Telefon, Radio, Automobil und Eisenbahn, dazu einen schwarzen Musiker, Jonny, der von einem nichtschwarzen Ensemblemitglied verkörpert wurde. Den im Wuppertal längst fest etablierten völkisch-nationalen Kreisen war ein derartiges Musikerlebnis natürlich ein Dorn im Auge, zumal angesichts der noch andauernden und von vielen damals als „schwarze Schmach“ empfundenen Rheinlandbesetzung, u.a. durch französische Kolonialsoldaten. Genau diese Gründe hatten schon Anfang 1927 im „Thalia“-Theater am Islandufer zur Absage eines Gastspiels der Revue „Black People“ und zu einem handfesten Skandal im Elberfelder Stadtrat geführt. Im Fall der Krenek-Oper war die Tonlage schon spürbar aggressiver und rassistisch aufgeladener. So polemisierte die auflagenstarke deutschnationale „Bergisch-Märkische Zeitung“ in gehässigem Ton gegen den „Jazz-Nigger Jonny“ und denunzierte den großen Aufführungserfolg des Werks auf allen Bühnen der Republik als eine „Verherrlichung der Negerkultur in Deutschland“ (BMZ 19.5.1928). Verboten wurde „Jonny“ aber erst von den Nationalsozialisten, die das sensationell erfolgreiche Werk als Beispiel des (jüdischen) „Musikbolschewismus“ denunzierten. 1939 tauchte der schwarze Opern-Titelheld dann noch einmal auf: als zur fratzenhaften Karikatur entstellte Coverfigur der Ausstellungsbroschüre „Entartete Musik“, mit einem Judenstern statt einer weißen Nelke im Knopfloch.

Regie und Bühnenbild des auch in Wuppertal mit großer Begeisterung aufgenommenen „Jonny“ stammten von Egon Wilden, dem Nachfolger Georg Salters als Ausstattungsleiter. Er entwickelte einen eigenen prägnanten, am modernen Sprech- und Musiktheater geschulten Stil, der Elemente zeitgenössischer Architektur und ansatzweise auch futuristischer Ästhetik integrierte. Sein Stil blieb trotz seiner bewussten Fortschrittlichkeit insgesamt moderat und kam wohl auch deshalb beim Publikum und der Kritik gut an. Viele seiner Bühnenbilder entstanden in enger Zusammenarbeit mit dem neuen Oberspielleiter der Oper (und Komponistensohn) Wolfram Humperdinck. Darunter auch ausdrücklich zeitgenössische Werke wie die erst 1928 uraufgeführten satirischen Einakter „Der Diktator“, „Das geheime Königreich“ und „Schwergewicht“ von Ernst Krenek oder Kurt Weills unterhaltsamer Polit-Sketch „Der Zar lässt sich fotografieren“ (UA 1928). Nahezu vergessen ist heute die Oper „Armer Columbus“ (UA 1928) von Erwin Dressel, für die Dmitri Schostakowitsch eine Ouvertüre und die Zwischenaktmusik geschrieben und Egon Wilden ein sehr eindrucksvolles Schlussbild geschaffen hatte. Als sie im Barmer Haus aufgeführt wurde, war aus dem „Vereinigten Stadttheater Barmen-Elberfeld“ schon die „Städtische Bühne Wuppertal“ geworden. Der 1929/30 durch eine preußische Kommunalreform erzwungene Zusammenschluss zu einer Großstadt mit neuem Namen beendete nun endlich – wenigstens politisch – die historisch gewachsene, aber immer unsinniger werdende Eigenständigkeit der beiden Schwesterstädte. Zeitgleich kündigte sich mit der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise das – allerdings nicht unvermeidbare – Ende der demokratischen Weimarer Republik und ihr Übergang in eine autoritäre und verbrecherische Diktatur an. Das blieb auch im Wuppertaler Musiktheater nicht folgenlos.