WZ-Interview: Demos in Wuppertal helfen jungen Türken

Servet Köksal und Selim Akgül hoffen auf einen friedlichen Erfolg der Demonstranten in der Türkei und würden sich freuen, wenn aus Wuppertal noch mehr Unterstützung käme.

Herr Köksal, Herr Akgül, hunderte Wuppertaler mit türkischen Wurzeln und Türken demonstrieren in Elberfeld gegen den türkischen Ministerpräsidenten Recep Erdogan. Ist das der richtige Ort?

Servet Köksal: In Wuppertal leben ja auch Menschen mit zwei Herzen in einer Brust. Das eine Herz schlägt auch für die Ereignisse, die in der Türkei geschehen. Das möchten die Leute mitteilen, und deswegen gehen sie friedlich gegen die Verletzung ihrer Freiheiten auf die Straße. Daher ist auch Wuppertal der richtige Platz, um das zu bekunden.

Handelt es sich bei den Demonstranten um liberale Migranten, denen Demokratie und Meinungsfreiheit wichtig sind?

Köksal: Ja, und es handelt sich um Menschen unterschiedlicher Gruppen und Ideologien, die jedoch in einem Punkt einig sind: Sie sind nicht mit den Vorkommnissen in der Türkei einverstanden.

Demonstrieren die Wuppertaler Migranten damit auch gegen die schleichende Islamisierung der Türkei?

Köksal: Ich denke, dass die Angst vor einer schleichenden Islamisierung besteht und durch die spaltende, eskalationssteigernde Rhetorik Erdogans extrem geschürt wird.

Die Schlagzeilen bestimmen in den letzten Monaten Islamisten und Salafisten. Ist das nicht eine verzerrte Wahrnehmung der Migranten mit türkischen Wurzeln?

Köksal: Leider ja. Es gibt in jeder Gesellschaft Krawallmacher, die sich nicht an die Verfassung halten. Das gilt auch für Menschen mit und ohne Migrationshintergrund oder den islamischen Glauben. Sie bilden aber eine kleine Minderheit, der allergrößte Teil hält sich an die Gesetze. Leider ist dieses Bild, vor allem seit dem 11. September 2001, sehr verzerrt.

Das heißt, wenn sich die Liberalen lautstark zu Wort melden, ist das sogar gut für die Integration?

Köksal: Indirekt ja, denn es ist gut für die Verständigung von Menschen aus unterschiedlichen Gruppen. Es treffen sich bei diesen Demonstrationen Linksorientierte, Konservative und Menschen aus der Mitte der Gesellschaft sowie politisch Uninteressierte.

Geht von diesen Demonstranten ein Impuls an die anderen Migranten mit türkischen Wurzeln aus?

Köksal: Hoffentlich ja.

Müssen sich die weltoffenen, liberalen Türken nicht auch in Wuppertal stärker zu Wort melden?

Köksal: Ich bin der Auffassung, dass das schon der Fall ist. Ich glaube jedoch, dass häufig negative Nachrichten veröffentlicht werden und sich im Gedächtnis auch eher einprägen als positive Nachrichten. Es fällt ja nicht auf, dass der allergrößte Teil der Menschen, die hier friedlich und im Einklang mit der Verfassung leben, ganz normal seinem Tagwerk nachgeht.

Dann ist doch eine Demonstration für Freiheit und Grundrechte der ideale Ansatz, um zu zeigen: Wir sind da und die Mehrheit, oder?

Köksal: Ja, auf jeden Fall.
Selim Akgül: Die liberalen Kräfte sind ja auch schon in der deutschen Gesellschaft stark verankert. Bei schlechten Nachrichten sind einfach auch interreligiöse Konflikte eine Ursache. Und das wird dann auch in den Zeitungen dargestellt.

Wie muss man vor dem Hintergrund der Proteste Ditib, die Religionsbehörde des türkischen Staates, bewerten, die ja sehr regierungsnah ist?

Köksal: In Deutschland ist die Ditib in Vereinsformen organisiert und daher keine direkte Untergliederung des türkischen Staates.
Akgül: Der Bundesverband Ditib dementiert ja immer wieder, dass es eine Einflussnahme des türkischen Staates gibt. Da sollte man zurückhaltend sein, das könnte weitere Konflikte schüren. Da muss man Vernunft walten lassen. Es ist der falsche Weg, einen internationalen Konflikt in dieses Thema einzubetten.

Aber die Imame an diesen Moscheen werden doch aus der Türkei geschickt und vom türkischen Staat finanziert. Da liegt ja der Verdacht nahe, dass diese Imame nah an der türkischen Regierung sind und agieren, was dann ja nicht im Sinne der Demonstranten sein kann, oder?

Akgül: Ich glaube, Politik und Religion müssen getrennt betrachtet werden, und ich gehe davon aus, dass dies die handelnden Akteure auch tun. So hängen in der Ditib-Moschee Aufschriften wie „Die Moschee ist ein politikfreier Ort“. Köksal: Das sehe ich auch so. Politik sollte sich nicht in die Religion einmischen. Die Demonstranten treten doch insbesondere auch dafür ein.

Herr Akgül, Ihre Familie ist bei den Demonstrationen in Istanbul dabei. Machen Sie sich Sorgen?

Akgül: Ja, wenn man das verfolgt, wenn man die Härte der Polizei sieht, mit der sie gegen die Demonstranten vorgeht, dann mache ich mir natürlich Sorgen. Meine Verwandten stehen für ihre Rechte ein. Aber ich bin sehr hoffnungsvoll, dass diese Demokratieprobe der türkischen Gesellschaft gut ausgeht. Damit die Türkei zu einer echten Demokratie wird.

Kommen wir wieder zum Anfang des Gespräches: Ist Wuppertal der richtige Ort, um das Signal an die Türkei zu senden: Ihr seid nicht allein, kämpft für Eure Rechte?

Köksal: Den Menschen in der Türkei tut es gut, wenn sie wissen, dass sie nicht allein sind und das es im Ausland Menschen gibt, die sich mit ihnen solidarisieren.
Akgül: Wenn mein Cousin in Istanbul auf Facebook die Fotos der Demo in Wuppertal sieht und das den anderen Demonstranten auf seinem Laptop zeigt, dann finden die das gut und fühlen sich unterstützt und ermutigt, weil das alles noch sehr neu ist für die türkische Demokratiebewegung. Proteste in diesem Ausmaß kannte die Türkei bisher nicht.

Sollten mehr Wuppertaler ohne Migrationshintergrund Solidarität zeigen?

Köksal: Überall, wo Grundfreiheiten mit den Füßen getreten werden, sollte niemand die Augen verschließen. Ob hier, in der Türkei oder sonst wo. Das ist doch auch ein Zeichen dafür, dass die Menschen miteinander verwurzelt sind.
Akgül: Wenn es um Grundrechte geht, ist das doch keine Frage der Nationalität.