Begrabt mein Herz in Wuppertal WZ-Kolumnist Uwe Becker war nur verbal auf Augenhöhe mit Muhammad Ali

Wuppertal · Weltmeister im Fliegengewicht von Barmen-Mitte.

Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic. Jeden Mittwoch schreibt er in der WZ über sein Wuppertal.

Foto: Joachim Schmitz

Tatsächlich habe ich mir letzten Sonntag in aller Herrgottsfrühe – vorher schön Rühreier mit Schinken gemacht und Brötchen aufgebacken – einen Boxkampf im Internet angeschaut. Aber nicht irgendeinen, kämpfte doch der gebürtige Wuppertaler Vincenzo Gualtieri gegen den Kasachen Zhanibek Alimkhanuly. Wie der Kampf ausgegangen ist, wissen wir alle. Gualtieri hat seinen kürzlich erst in Wuppertal gewonnen Weltmeistertitel im Mittelgewicht direkt wieder verloren.

Wäre ich Weltmeister geworden, hätte ich mich erstmal ein Jahr mit nacktem Oberkörper und Goldkettchen in jedes Eis-Café in Wuppertal gesetzt, natürlich draußen, und gehofft, dass die anderen Gäste oder vorübergehende Passanten getuschelt hätten, dass da der Weltmeister im Mittelgewicht sitzt, und man doch mal schauen sollte, was der für ein tolles Sixpack hat. Aber nein, so verrückt ist Vincenzo nun nicht. Ich glaube aber, er brauchte dringend Geld, daher die verfrühte Titelverteidigung. Ich hätte ja meine Privatrente gehabt und nicht mehr boxen müssen. Jetzt ist bei ihm wahrscheinlich guter Rat teuer, aber nicht mehr so viel Geld da, um sich einen geben zu lassen.

Ich bin übrigens heute noch dankbar, dass mein Vater mich damals zu allen WM-Boxkämpfen von Cassius Clay, später Muhammad Ali, geweckt hat. Allerdings schlief ich fast immer auf dem Teppich vor dem Fernseher wieder ein, genau wie an Karneval, wenn mein Bruder und ich „Mainz bleibt Mainz“ gucken durften. Ich wollte es immer schaffen, die lustigen „Gonsbachlerchen“ mitzubekommen, schon als Kind hatte ich einen sehr guten Geschmack, was Karnevalsdarbietungen angeht, aber in der Regel verschlief ich deren Auftritt. Mein älterer Bruder wollte mit mir sogar mal um zwei Mark wetten, dass ich wieder vorher einschlafen würde. Natürlich gewann er die Wette. Aber egal, ich war erst zehn und fühlte mich ziemlich erwachsen.

Einmal war der Boxkampf bereits beendet, als ich schlaftrunken ins Zimmer trat. Es war der Rückkampf zwischen Cassius Clay, der inzwischen Muhammad Ali hieß, und Sonny Liston. Im ersten Kampf hatte er Liston den Weltmeistertitel entrissen, nach dessen Aufgabe in der siebten Runde. Nun lag Sonny Liston schon in der ersten Runde flach. Ali hatte ihn mit nur einem Schlag niedergestreckt. Es war der 25. Mai 1965. Mein Vater erhob sich aus dem Sessel, er hatte schon seinen grauen Kittel an, damit er direkt nach dem Kampf zur Arbeit gehen konnte, machte den Fernseher aus, zeigte mir seine Faust und meinte: „Zack, bum, das war’s!“ Danach gähnte ich, nahm mir eine Handvoll Salzstangen vom niedrigen Couchtisch und kroch wieder ins Bett, da ich nur kurze Zeit später zur Schule musste.

Am folgenden Abend hätte ich mir das Verpasste in der Tagesschau ansehen können, vergaß es oder war schon wieder im Bett. Ich mochte Boxen eigentlich gar nicht so sehr, aber Muhammad Ali, den mochte ich, weil er frech und arrogant und vorlaut war, weil er so eine grandiose Show vor jedem Kampf abzog, und vor allem, weil den Wehrdienst verweigerte und dafür ins Gefängnis ging.

An diesem Morgen erzählte ich stolz in der Schule, dass mein Vater mir erlaubte, den Kampf anzusehen, was ja irgendwo stimmte, aber gesehen hatte ich den Kampf nicht wirklich. Ich führte einem Mitschüler dann trotzdem vor, wie Muhammad Ali Sonny Liston austanzte und darauf verzichtete, seine Arme zur Deckung hochzuhalten, gemeinerweise nutzte mein Klassenkamerad dies aus und knallte mir seine rechte Faust voll auf die Nase, bevor ich meinen einstudierten rechten Aufwärtshaken einsetzen konnte. Dann kam unser Klassenlehrer, riss den rechten Arm meines Gegners hoch und erklärte ihn zum Weltmeister im Fliegengewicht von Barmen-Mitte.

So war es natürlich nicht, der Klassenlehrer schimpfte herum, gab mir ein Taschentuch und meinem Schulkamerad Norbert eine Strafarbeit. Ich saß dann mit einem nassen Schwamm im Nacken in der Klasse, hoffte, dass mein Nasenbluten aufhörte, und starrte an die Decke, an der ein alter Wasserschaden exakt dem Umriss von Afrika glich. Ich sagte das auch, da wir gerade Erdkunde hatten. Norbert war übrigens der mit Abstand stärkste Junge unserer Klasse. Niemals hätte ich selber zugeschlagen. Verbal war ich allerdings mit Muhammad Ali auf Augenhöhe.