Zivis an der Melanchthonstraße: Unverzichtbar — und bald weg
Seit Jahrzehnten setzt die Förderschule Melanchthonstraße auf Zivis. Die werden bald abgeschafft — und die Schule weiß nicht, wie es ohne sie weitergehen soll.
Wuppertal. Motiviert, engagiert, intelligent, kräftig, freundlich und sowohl psychisch als auch körperlich belastbar — Jon Wischmann (21) entspricht dem Idealbild eines Zivildienstleistenden. Sein Arbeitstag beginnt kurz vor 8 Uhr mit dem routinemäßigen Blick in das Zivi-Buch der Schule für Körperbehinderte an der Melanchthonstraße. Im Dienstbuch sind die vielfältigen Aufgaben aufgeführt, die von den Zivis sowohl zur Unterstützung der Lehrer im Unterricht als auch bei der Pflege und Betreuung der Kinder übernommen werden müssen.
„Für meine persönliche Entwicklung ist die Arbeit an der Schule sehr wertvoll. Wir bekommen hier vor allem von den Kindern, zu denen wir ein sehr enges Verhältnis aufbauen, an jedem Tag eine Menge zurück“, sagt Jon Wischmann, der einer von aktuell sieben Zivildienstleistenden an der Schule ist. Alle Zivis haben nach ihrer Pflichtzeit von neun Monaten freiwillig um drei Monate verlängert, weil sie Lehrer und Schüler nicht im Schuljahr im Stich lassen wollen.
„Zivildienstleistende gehören seit Jahrzehnten fest zum Stamm der Schule. Sie sind im Alltag unersetzlich“, sagt Schulleiterin Christiane Strufe und spricht damit eine Erkenntnis aus, die ihr große Sorgen für die Zukunft bereitet. Unersetzlich mögen die Zivis sein, aber wegen der Bundeswehrreform wird es bald keinen „Nachschub“ mehr geben.
Jetzt sollen die Teilnehmer am Freiwilligen Sozialen Jahr die Lücke schließen. „Bisher liegt mir aber nur eine Anmeldung eines jungen Mannes vor, dabei benötigen wir gerade junge kräftige Männer, die körperlich in der Lage sind, Hilfestellung zu leisten“, sagt Christiane Strufe.
Die Schülerinnen und Schüler im Alter von sechs bis 18 Jahren werden in kleinen Klassen von etwa 70 Lehrern, 15 Physio- und Ergotherapeuten und vier Krankenschwestern betreut. In der Obhut der Schule muss auch die körperliche Pflege der oft stark in der Mobilität eingeschränkten Kinder und Jugendlichen gewährleistet sein.
„Für einen Jungen oder einen Jugendlichen ist es angenehmer, wenn ihm ein Mann bei der Intimpflege hilft“, sagt Jon Wischmann. „Man darf das nicht mit einem Krankenhausaufenthalt vergleichen, denn dort befindet sich der Patient in einer Ausnahmesituation. Doch an unserer Schule verbringen die Kinder oft viele Jahre. Sie haben ein Recht auf Intimität“, sagt Christiane Strufe.
Dass am Ende des Schuljahres viele Tränen fließen, wird nicht zu ändern sein. „Mir wird der Abschied von den Kindern, den Lehrern und den anderen Zivis sehr, sehr schwer fallen“, sagt Jon Wischmann. Er wünscht sich sehr, dass er nicht der „Letzte seiner Art“ gewesen ist. „Ich habe die Hoffnung, dass sich doch noch viele zum Freiwilligen Sozialen Jahr melden. Ich kann dazu nur raten, denn ich möchte diese Zeit nicht missen.“