Gedanken zum Vatertag Liebe Gesellschaft, meine Familie geht dich nichts an

Düsseldorf · Nie war es so leicht, sein Leben frei zu gestalten. Doch das Natürlichste der Welt, die Vermehrung, ist von gesellschaftlichen Zwängen durchdrungen. Zum Vatertag fragt sich unsere Reporterin: Was soll das?

Wer wird das Kind schon schaukeln – Mama, Papa oder beide? Mitunter scheint es, als wolle die Gesellschaft das für uns entscheiden.

Foto: dpa

Es ist Vatertag. Herzlichen Glückwunsch, Papas. Falls man euch gratulieren darf. Manche Schlagzeilen, die in den vergangenen Tagen zu lesen waren, legen nahe, man müsste euch eher kondolieren. „So stark werden Männer in ihrer Vaterrolle diskriminiert“ oder auch „Wickelverweigerer und Retro-Väter“. Zum Muttertag war das übrigens nicht anders: „Der Muttertag droht Geschlechterrollen zu zementieren“ wurde da getitelt und „Mütter von heute haben eine schwierige Rolle“. Oje, diese Rollen. Der Begriff ist symptomatisch für etwas, das in Deutschland gerade passiert: Man ist nicht Mutter oder Vater, man verkörpert eine Rolle. Vielleicht spielt man sie sogar. Die Vermehrung ist das Natürlichste auf der Welt, die Familie unsere Ur-Lebensform. Und doch ist kein anderer Bereich des Lebens so durchnormiert wie sie.

Das war schon immer so, nur dass die Normen früher sehr klar und straff waren: Im Nazideutschland von Hitler gehörte die Mutter zu Herd und Kind, der Vater verdiente das Geld. Punktum. In unserer modernen, freien Gesellschaft darf jeder prinzipiell alles. Aber nun wird darum gerungen, was richtig oder falsch ist. Was zu widerstreitenden Normansätzen führt. Bei den Vätern ist das noch relativ einfach: Wer nicht wenigstens zwei Monate Elternzeit nimmt, dem gehört laut öffentlichem Diskurs die Hand abgehackt. Bei den Müttern ist es schwieriger, für sie gibt es weitaus mehr Schimpfwörter als „Wickelverweigerer“ und „Retro-Väter“: Raben- und Karrieremutter, Helikoptermutter, Latte-Macchiato-Mutter, Ökomutti, Insta-Mom. So oder so, Mamas in Deutschland können heute nichts richtig machen.

Sich dem zu entziehen, ist schwierig. Heute mehr denn je. Denn der soziale Druck in jedwede Richtung wird nicht mehr nur in schlauen Büchern und Magazinen aufgebaut: Jeder kann es tun. Nicht nur die unzähligen Erziehungsinfluencer auf Youtube, auch die „Freunde“ auf Facebook, die einen Artikel, einen Tweet, einen Blogeintrag teilen und dazu wissen lassen: „Genau, Kinder gehören erst mit drei in die Kita“ oder „Männer, bringt euch gefälligst mehr in die Erziehung ein“ oder so ähnlich.

Die schlauen Bücher, Magazine, Zeitungsartikel und -kommentare gibt es selbstverständlich auch weiterhin. Jede Menge. Und Statistiken. Sie sind der Stoff, aus dem Gesellschaftskritik geschneidert wird: Im vergangenen Jahr bezogen 1,4 Millionen Mütter in Deutschland Elterngeld, durchschnittlich elf Monate lang – bei den Männern waren es 433 000 und im Schnitt nur drei Monate. Und damit nicht genug: Laut Statistischem Bundesamt arbeiten Väter sogar mehr als Nicht-Väter. Die Philosophin Lisz Hirn beschreit in ihrem jüngst erschienenen Buch „Geht’s noch! Warum die konservative Wende für Frauen gefährlich ist“ die Rückkehr von Biedermännern und -frauen in Deutschland.

Das Problem an solchen Statistiken und Sozialdiagnosen ist: Sie denken nicht in Einzelfällen und individuellen Entscheidungen – jede Familie ist in ihrer Erscheinungsform sowohl Folge als auch Symbol einer gesellschaftlichen Entwicklung. Meist natürlich einer Fehlentwicklung.

Und wie passe ich nun selbst in dieses große Ganze? Ich als Mutter habe zwölf Monate Elterngeld bezogen, der Vater des Kindes zwei. Danach haben wir gedreht: Ich gehe Vollzeit arbeiten, er hat reduziert, arbeitet in Teilzeit und kümmert sich nach der Kita um den Kleinen. Sind wir als Familie ein Zeichen für den Sieg des Patriarchats, nicht stattgefundene Emanzipation, weil das erste Jahr so traditionell gestaltet war? Oder ein leuchtendes Beispiel der Gleichberechtigung, weil beide ihre Kinderzeit bekommen haben? Sind wir die Folge eines gesellschaftlichen Umschwungs, einer progressiven Strömung zu mehr Familienernährerinnen – oder bin ich einfach ein Opfer der Feminismus-Propaganda, die uns Frauen auferlegt, wir müssten gefälligst alles schaffen von Kindern bis zur Karriere, vom geputzten Heim bis zum gepflegten Businessfrau-Äußeren?

Oder haben wir uns vielleicht doch höchstselbst so entschieden? Haben wir uns womöglich gleichberechtigt darüber ausgetauscht, was wir uns jeweils wünschen und was wir für das Beste halten – für ihn, für mich, für unser Kind, für uns als Familie? Sieht jemand außer mir eine Chance, dass wir Menschen vielleicht doch in Ansätzen souverän sind?

Ja, es ist schon klar: Wir sind mit unserer aktuellen Organisationsstruktur eine Ausnahme. Von den meisten Müttern in meinem Freundeskreis oder auf dem Spielplatz höre ich, sie hätten entweder gar keine Lust mehr auf einen Vollzeitjob. Oder natürlich, dass der Papa nun einmal mehr verdient. Vielen gelten solche Aussagen als Beleg für das Überdauern tradierter Rollenbilder. Ich halte zumindest für denkbar, dass es sich um eine individuelle und sehr emanzipierte Wahl handelt – vom Kerl mit dessen Job über den eigenen Job und das Kinderkriegen an sich bis hin zur Entscheidung, die Höhe des Einkommens über ein vielleicht vorhandenes Bedürfnis nach beruflicher Selbstverwirklichung zu stellen. Zumindest in der Gruppe von Frauen, die im Fokus der Debatte steht: Gebildet, aufgeklärt und tough genug, die Welt zu beherrschen, und dennoch lieber im Sandkasten.

Man könnte noch weitergehen und sagen: In einer Welt wahrer Emanzipation ist es respektlos, Mütter, die sich meinen vollen Terminplan einfach nicht antun wollen, als trauriges Zeichen einer nicht gelungenen Gleichberechtigung abzustempeln. Und einen Vater, der sich krummbuckelt, um seiner Familie ein gutes Leben zu ermöglichen, obwohl er viel lieber Fußball mit dem Nachwuchs spielen würde, als reaktionäres Arschloch.

Ich las neulich einen Zeitungskommentar, in dem die Autorin neben der Forderung nach Frauenquoten in der Arbeitswelt vorschlug, Elterngeld nur auszuzahlen, wenn Vater und Mutter je die Hälfte der Elternzeit nehmen. Ist es wirklich das, was unsere Gesellschaft will? Die aktuelle Wahlfreiheit einzuschränken, um eine Entwicklung zu erzwingen, die gemeinhin für fortschrittlich gehalten wird? Ein Diktat durch ein anderes zu ersetzen? Bitte nicht.

Unser Kampf um neue Dogmen führt inzwischen zu bizarren Auswüchsen. Vor allem zu einem Infragestellen der Elternschaft in Gänze. So schaffte es die Regensburger Lehrerin Verena Brunschweiger im März in sämtliche Gazetten, weil sie Müttern vorwarf, nur durch ihre Fortpflanzung selbst schon den Feminismus und das Klima zu zerstören. Die unter dem Hashtag „#regrettingmotherhood“ verbreitete Studie mit israelischen Müttern, die angaben, sich im Rückblick nicht noch einmal für Kinder entscheiden zu wollen, wurde nirgends so rezipiert wie hierzulande (wann wurde je zuvor eine Studie aus Israel zu irgendeinem Thema bei uns breit diskutiert?).

Damit es da kein Missverständnis gibt: Dies ist kein Plädoyer, nicht mehr weiter am gesellschaftlichen Rahmen für souveräne Entscheidungen zu schleifen. Vor allem für jene, die in Bezug auf die Gestaltung ihres Familien- und Erwerbslebens nicht nur sozialen Zwängen unterliegen, sondern ganz banal wirtschaftlichen – Alleinerziehende zum Beispiel. Aber auch für alle anderen, etwa durch eine flächendeckende Versorgung mit Kitas, die den Namen „frühkindliche Bildungsstätte“ auch verdienen.

Aber was wir als Menschen daraus machen, sollte nicht die Gesellschaft, nicht die Politik, nicht die Tradition, die Zeitung, die Facebook-Filterblase oder ein schlauer Theoretiker bestimmen. Familie ist sehr emotional, irrational, individuell. Und zuvorderst absolut privat. Wer öffentlich neue Rollenbilder sucht, formuliert nur wieder einen Anspruch, knüpft ein neues Korsett. Eltern sind im Allgemeinen schon selbst ihre härtesten Kritiker. Mütter und Väter, macht euch heute doch einfach mal frei. Nicht nur von Arbeit, sondern auch von Erwartungen. Habt einen schönen Tag mit der Familie. Was auch immer das für euch individuell bedeutet.