Angst und Wut bei Chinas Eltern
Besorgte Mütter stürmen mit ihren Babys die Krankenhäuser. Die Unsicherheit bleibt.
Peking. Angefangen hatte es mit Berichten über wenige vereinzelte Fälle erkrankter Babys. Binnen weniger Tage hat der Skandal in China jedoch riesige Ausmaße angenommen: Drei Kinder sind tot, mehr als 6000 krank, Dutzende in ernstem Zustand. Und nicht nur ein Milchpulverproduzent ist betroffen, mittlerweile ist die giftige Chemikalie Melamin in den Milchpulvern von 22 Herstellern gefunden worden. Auch alle anderen Milchprodukte sollen überprüft werden.
Chinas Eltern sind verunsichert, besorgt - und wütend über die wochenlange Vertuschung des Skandals. Landesweit werden die Krankenhäuser von besorgten Eltern gestürmt, die ihre Sprösslinge untersuchen lassen wollen. "Ich weiß einfach nicht, was ich meiner Tochter noch zu essen geben soll", sorgt sich die 34-jährige An Fengyun. Wie Dutzende andere Eltern wartet sie vor einem Pekinger Kinderkrankenhaus, um die Nierenwerte der Zweijährigen überprüfen zu lassen.
Die Wartenden beugen sich über eine Liste der zahlreichen Milchpulver, die bisher wegen Melamin-Verseuchung bereits zurückgerufen worden sind, und fragen sich, was zu tun ist. Als eine Mutter vorschlägt, nur noch Frischmilch zu füttern, fallen ihr die anderen sofort ins Wort: "Wie können wir wissen, ob nicht auch die Milch vergiftet ist? Das wird doch noch geprüft. Man kann sich nie sicher sein!", ruft ein alter Mann, der mit seinem Enkel auf die Untersuchung wartet.
In der Provinz Gansu im Nordwesten des Landes, wo der Milchpulverskandal seinen Anfang nahm und zwei der drei Todesfälle registriert wurden, kommt der Lehrer Qi Yunzhong mit seinem zweijährigen Sohn aus dem Krankenhaus zurück.
Bei dem Kleinen wurde ein zwei Millimeter großer Nierenstein festgestellt, doch nach Angaben der Ärzte hat er gute Heilungschancen. "Sie haben mir gesagt, dass er keine Behandlung braucht, er soll einfach viel Wasser trinken", erzählt der Vater.
An Milchsammelstationen soll der zur Milchpulverproduktion bestimmten Milch Melamin beigemengt worden sein, vermutet Chinas Regierung. Betrüger wollten damit einen höheren Proteingehalt vortäuschen. Eigentlich wird die Chemikalie Melamin zur Kunststoff- und Flammschutzmittelproduktion genutzt.
Wird sie mit der Nahrung aufgenommen, kann sie durch das Zusammenspiel mit anderen Stoffen kristallisieren und die Bildung von Nierensteinen auslösen. An Nierenproblemen leiden die meisten der tausenden Babys und Kleinkinder, die bislang in die Kliniken eingeliefert wurden.
Chinas Regierung greift nun hart durch. Die Vorstandsvorsitzende und Parteichefin des Herstellers Sanlu mit Sitz in Shijiazhuang in der Provinz Hebei, Tian Wenhua, wurde entlassen. In der Stadt verloren der für Landwirtschaft zuständige Vizebürgermeister, die jeweiligen Chefs der Viehverwaltung, der Nahrungs- und Arzneimittelaufsicht und der Qualitätsinspektion wegen Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht ihre Posten.
Nach ersten Geständnissen von verhafteten Milchhändlern scheint in der Industrie allgemein bekannt gewesen zu sein, dass Melamin den Proteingehalt von minderwertiger oder mit Wasser verdünnter Milch aufbessert. Bei der Überwachung der Milchindustrie seien "Fehler" gemacht worden, räumte die Regierung deshalb ein.
Der Markt für Milchprodukte sei "chaotisch", hieß es laut einem TV-Bericht bei einer Kabinettssitzung unter Leitung von Regierungschef Wen Jiabao. Die bisher "schwachen" Kontrollen müssten verbessert werden.
Mutter An Fengyun interessiert das alles zwar auch, aber wichtiger ist: Ihre Tochter ist gesund, wie sich bei der Untersuchung in Peking herausstellt. Sie will ihrem Kind keine Milch mehr geben, bis die Gefahr vorüber ist: "Das wird schwierig, denn sie mag gerne Milch. Aber es ist der einzige Weg."