Unterwegs in den Trümmern von „Ike“: Das Leid der Retter in Galveston
Die Rettungsarbeit ist leidvoll und geht den Helfern an die Nieren. Vor allem im historischen Zentrum von Galveston reicht das Wasser bis zur Hüfte. . .
Galveston. Blake Patton legt die rechte Hand auf den Griffseiner Dienstpistole und ruft: „Ist da jemand?“ Das Haus, das er undsein Polizeikollege Mustafa überprüfen sollen, scheint verlassen - aberman weiß ja nie. Patton, gedeckt von Mustafa, verschwindet auf dem Weghinter dem Haus. Kurz darauf zerreißt ein Schuss die Stille.
Das Opfer ist ein Pitbull, der im hinteren Innenhof des Gebäudeseingesperrt war. „Er ging auf mich los, und ich hatte keine andereWahl“, erklärt der Polizist und wischt sich den Schweiß von der Stirn.Sein Vorgesetzter ist nicht zufrieden. „Wir müssen die Nervenbehalten“, sagt er. „In den nächsten Tagen werden wir viele extremeSituationen haben wie diese. Und noch schlimmere.“
Pattons Vorgehen ist ein Beispiel dafür, wie die Helfer mit derschweren Aufgabe umgehen, Eingeschlossene zu retten, den Bedürftigstenzu helfen, Plünderer zu suchen und Schritt für Schritt eine Stadtwiederzubeleben, die durch den Hurrikan „Ike“ zerstört wurde.
Patton ist Polizeibeamter in Galveston und hat zudem seine eigenenProbleme. Seine Wohnung wurde vom Wasser verwüstet, zu Trinken oder zuEssen gibt es da nichts mehr. Bis jetzt hat er wie die Mitglieder derpolitischen Spitze der Stadt im Hotel „San Luis“ gewohnt - ebenso wiedie Reporter, die während des Sturms auf der Insel geblieben waren.„Keine Ahnung, wann ich mal ein paar Stunden haben werde, um meineAngelegenheiten zu regeln. Hoffentlich bald.“
Die Polizisten des Touristenortes an der texanischen Golfküste sindaber nicht allein. Hunderte von Feuerwehrleuten aus anderen Staatensind ihnen zu Hilfe geeilt, zusammen mit den Streitkräften, derKüstenwache und anderen. Die Zufahrt nach Galveston - eine vierspurigeAutobahnbrücke, die von Insel zu Insel springt - ist nur noch fürPolizei- und Rettungsfahrzeuge offen.
Ununterbrochen reihen sich roteund blaue Blinklichter aneinander, die Kolonne bewegt sich auf dereinzigen freien Spur, die nicht von den Trümmern des Sturmes bedecktist.
Die Rettungsarbeit ist leidvoll und geht den Helfern an die Nieren. Vorallem im historischen Zentrum von Galveston reicht das Wasser bis zurHüfte. Nur die „Humvee“-Geländefahrzeuge der Armee erreichen dieHäuser, in denen nach Überlebenden gesucht wird. Patton kann aus seinembescheidenen Polizeiauto nur aus der Ferne zuschauen.
Unberechenbar sind die meisten Einsätze allemal, und deshalb haben dieangespannten Beamten an diesem Tag auch das Leben des Pitbulls beendet.Wenn die Rettungskräfte in ein Haus oder in dessen Ruine gehen, wissensie nicht, ob sie mit offenen Armen, mit Schüssen oder vom Geruch desTodes empfangen werden.
Überall ist die Zerstörung sichtbar, aber die Wirkung von „Ike“ hat denjungen Polizisten nicht überrascht. „Das ist mehr oder weniger das, wasich erwartet habe“, sagt Patton ernüchtert - und zeigt in derüberfluteten Straße 40 auf sechs niedergebrannte Häuser, aus derenAscheresten noch Rauch aufsteigt. Deshalb sei es auch „sofrustrierend“, jetzt nach Überlebenden suchen zu müssen, wie der Chefder örtlichen Einsatzkräfte, Steve LeBlanc, bedauert. Etlichezehntausend Texaner hatten sich den Evakuierungen widersetzt.
Aus Pattons Funkgerät kommt ein neuer Einsatzbefehl aus der Zentrale.Eine Bar am Meer ist angeblich ausgeraubt worden. Das ist das zweiteProblem der Polizei und der Nationalgarde in Galveston: Plünderungen inder verlassenen Stadt.
Dieses Mal ist Pattons Blick fester, der Polizeiwagen fährt schneller.Aber als er zur „Patio Bar“ kommt, besinnt er sich des Rates seinesVorgesetzten und beruhigt sich. Er bremst seinen Kollegen, der schon zudem Gewehr greifen wollte, das zwischen den Männern im Auto aufgestelltist. Es war nur ein falscher Alarm.
Kurz darauf sollen die Beiden beim Abtransport eines Kranken in derNähe des Broadway helfen, der zentralen Straße der Stadt, auf der eingroßer Hubschrauber steht. Als dieser mit dem Kranken an Bord in dieLuft steigt, bringen seine Rotoren die noch intakten Strommasten undDächer in der Umgebung zum Zittern.
Müde geht Patton zu seinem Auto zurück. Seit vergangenem Donnerstagarbeitet er fast rund um die Uhr. Und in der Nacht muss er noch dasAusgehverbot überwachen. Seine Familie ist vor der Ankunft desHurrikans ins Landesinnere geflohen. Mit seinem Kollegen Mustafawechselt er kaum noch ein Wort - es gibt nicht mehr viel zu sagen.