Anja Kling: „Meine Flucht war nicht so schwer“
Die Schauspielerin Anja Kling spielt in „Wir sind das Volk“: „Viele Jugendliche wissen nichts vom Mauerfall.“
Frau Kling, Sie sind in der DDR aufgewachsen. Wie ist Ihre Geschichte zum Thema Mauer?
Kling: Ich bin fünf Tage vor dem Mauerfall im Alter von 19 Jahren geflohen. Damals wusste ich in meiner jugendlichen Naivität noch nicht, was für mich eine Trennung auf unbestimmte Zeit bedeutet hätte. Vor allem die Trennung von meinen Eltern. Gott sei Dank hat das nur fünf Tage angehalten.
Mit 19 geht es ja nicht darum, Besitz oder Eigentum zu verlassen. Aber ich habe meine Lieben zuhause gelassen und ich wusste nicht, wann ich sie je wiedersehen kann - und ob überhaupt. Das hatte mich damals schon sehr mitgenommen. Wäre die Mauer nicht gefallen, hätte ich sicherlich sehr darunter gelitten.
Kling: Meine Flucht war lange nicht so risikoreich wie die der Filmfigur Katja Schell. Ich bin ohne Kind geflohen und nicht an der Donau entlang durchs Schilf gerobbt. Wir sind relativ unspektakulär abgehauen und einfach mit dem Trabbi über die tschechoslowakische Grenze gefahren. Die war damals für 24 Stunden offen. Ich wäre dieses Risiko von Katja Schell nicht eingegangen. Da hätte ich zu viel Angst gehabt.
Kling: Ich kenne dieses Gefühl, Brücken abzubrechen und Leute zu verlassen. Ich hatte es insofern etwas leichter als jemand, der das nicht erlebt hat. Ich weiß, wie das ist, wenn man sich zur Flucht entschließt, was man dabei fühlt und warum man bereit ist, dieses Risiko einzugehen.
Kling: Das ist alles sehr realistisch gemacht. Wir hatten einen Fachberater dabei - Fachberater im ganz traurigen Sinn, weil ihm genau das passiert ist, was wir im Film zeigen. Matthias Melster hat damals versucht, über Ungarn zu fliehen. Er ist erwischt worden und ins Stasi-Gefängnis gekommen. Matthias stand mir bei den Dreharbeiten durchgehend zur Seite.
Ich habe nichts gedreht und nichts gemacht, was er nicht abgenickt hat. Auch unser Regisseur Thomas Berger wollte nichts drehen, was es nicht wirklich gab. Ich habe Matthias von früh bis spät mit Fragen gelöchert. Er hat das, was die Stasi ihm damals seelisch angetan hat, nie wirklich verwunden. Er ist heute ein gebrochener Mann.
Kling: Natürlich gibt es schon andere Filme, die sich - auch erfolgreich - mit dem Thema beschäftigt haben. Aber es war mir dennoch sehr wichtig, bei dem Projekt dabei zu sein. Denn wenn man Jugendliche fragt: "Was war denn am 9.November 1989?" dann wissen das die wenigsten.
Ich glaube schon, dass man durch die filmische Aufbereitung auch das junge Publikum bewegt, sich mit der Zeit zu beschäftigen.