Arndt Borkhardt: „Helfen kann man allen Kindern“
Der Chef der Düsseldorfer Kinderkrebsklinik strahlt große Ruhe aus. Nicht nur seine kleinen Patienten wissen das zu schätzen. Die Chancen auf Heilung stehen gut.
Düsseldorf. Die Fahrstuhltür öffnet sich. Ein Junge, vier oder fünf Jahre alt, flitzt mit einem ferrariroten Dreirad über den Flur. Geschickt umkurvt er den ahnungslos aus dem Lift tretenden Besucher, um dann mit leuchtenden Augen wieder kräftig in die Pedalen zu treten. Der Kopf des kleinen Rennfahrers ist völlig kahl.
Borkhardt folgte auf den bekannten Leukämie-Experten Ulrich Göbel, der nach über 20Jahren als Direktor in den Ruhestand gegangen war. Der auffälligste Wesenszug seines Vorgängers ist auch bei dem jetzigen Chef der Abteilung Pädiatrische Onkologie, Hämatologie und Immunologie schon nach wenigen Gesprächsminuten zu spüren: innere Ruhe. Hinzu kommt eine äußere Zurückhaltung - in manchen Momenten wirkt der schlanke Mediziner mit den hellgrünen Augen und den verwuschelten Haaren beinahe scheu.
"Ruhe ist in dem Beruf schon wichtig", sagt Borkhardt. Im Umgang mit Kindern, die nicht immer Lust auf Untersuchungen hätten, müsse man eben Geduld aufbringen. Seine Stimme liegt meist unter Zimmerlautstärke; der weiche Dialekt ist eine ungewöhnliche Mischung aus Sächsisch und Hessisch.
Arndt Borkhardt, 1963 in Mecklenburg geboren, wächst in Dresden auf. Sein Abitur macht er in Magdeburg, es folgt der mehrmonatige Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR. Wieder zurück in der Hauptstadt Sachsen-Anhalts, studiert der Sohn zweier Mediziner an der Medizinischen Akademie und absolviert dort auch sein Praktisches Jahr - während die Mauer zwischen Ost und West in sich zusammenfällt.
"Diese emotionale Zeit habe ich sehr intensiv erlebt", erzählt er. Als Kind habe er seine aus Hessen stammende Großmutter oft gefragt, wann Deutschland wieder eins werde. Ihre Antwort: "Wenn Du groß bist." Nach der Wende arbeitet Borkhardt dann für mehrere Jahre in Gießen, der alten Heimat seiner Oma.
Der Mediziner muss los: Visite. Er war einige Zeit nicht vor Ort, Fachkongresse auf der ganzen Welt gehören zu seinem Alltag. "Ich geh’ jetzt auf die K4", gibt er seiner Sekretärin Bescheid. Die K4, das ist seine Station. Um die 20Kranke, die bis 18Jahre alt sind, werden ständig auf ihr betreut. Sie leiden an Leukämie oder haben Tumore. In einem gesonderten Bereich liegen die Kinder, bei denen Knochenmarktransplantationen nötig sind. Oft geht die Behandlung über mehrere Jahre.
Auf den Gängen der Klinik verändert sich das Bild vom stets bedächtigen Facharzt schlagartig: Mit großen Schritten hastet er von A nach B, vorbei an Donald Duck-Plakaten, Buntstift-Zeichnungen und Diddl-Maus-Aufklebern an den Glastüren. Sein weißer Kittel raschelt an den schnellen Beinen. Am Ziel angekommen, ist der Professor aber sofort wieder die Ruhe selbst.
Im kleinen Kreis lässt er sich zunächst von seinen Ärzten und Schwestern über den aktuellen Zustand der Patienten informieren - Flur für Flur, Zimmer für Zimmer, Akte für Akte. Zwischen medizinischen Fachwörtern und Buchstaben-Zahlen-Kombinationen fallen die Namen der Kinder (alle von der Redaktion geändert) und einige auch dem Laien bekannte Begriffe: Julia, Chemotherapie; Anne, Morphin; Tim, Lymphknoten; Kevin, Stammzellen; Yasmin, Tumor.
Mal wiegt der Professor besorgt den Kopf, wenn er von einem noch immer fiebernden Jungen hört. Mal lächelt er leicht, wenn die Schwester über einen Patienten sagen kann: "Die Schmerzen sind weg."
Dann kommt der schlimmste Fall des Vormittags. Bei einem Mädchen sind mehrere Metastasen im kleinen Körper aufgetaucht. Borkhard sieht sich die bis zu einem Zentimeter großen Geschwulste auf einem Computerbild an. Seine Miene wird immer ernster. "Haben Sie schon mit den Eltern gesprochen?", fragt er schließlich den Oberarzt.
Etwa 75 Prozent von Borkhardts Patienten werden wieder gesund. "Helfen kann man allen Kindern, man kann nur nicht alle heilen", sagt der Vater dreier Töchter und betont dabei die Wörter "helfen" und "allen".
Und was bedeutet es für ihn, wenn ein Kind trotz aller Anstrengungen nicht zu retten ist? "Der Tod eines Kindes ist jedes Mal ein bitteres, sehr einschneidendes Erlebnis", antwortet der Arzt. Er habe im Laufe seiner Arbeit lernen müssen, damit umzugehen. Dazu gehöre auch das Kümmern um die Eltern.