Gedanken steuern Kunst-Arm
Der Österreicher Christian Kandlbauer verlor bei einem Unfall beide Arme. Mittlerweile trägt er eine neuartige Prothese und kann sogar allein Auto fahren.
Wien. Jeden Morgen fährt Christian Kandlbauer zur Arbeit. Allein. Ohne fremde Hilfe. In seinem Auto. Nichts Besonderes? Dass der 22-Jährige überhaupt hinter einem Steuer sitzt, ist ein medizinisches Wunder. Denn der junge Mann aus der Steiermark verlor 2005 beide Arme bei einem Unfall.
Jetzt trägt er eine europaweit einmalige Spezialprothese, die sich durch Gedanken wie ein natürlicher Arm steuern lässt. Was nach Science-Fiction klingt, ist für die Herstellerfirma Otto Bock ein medizinischer und technischer Quantensprung.
An seinen Schicksalstag, den 11.September 2005, mag sich Kandlbauer gar nicht mehr erinnern. Der damals 17-Jährige war in einem Anfall von jugendlichem Leichtsinn auf einen Elektromast geklettert und einer 20.000 Volt-Leitung zu nahe gekommen. Der "Kick", das "Spiel mit der Gefahr", wie er auf seiner Homepage schreibt, kostete ihn beinahe sein Leben.
Von seinem rechten Arm konnten die Ärzte zumindest den Oberarmstumpf retten, sein linker Arm musste inklusive des Schultergelenks abgenommen werden. Für "klassische" Prothesen, die jeden Zentimeter Muskel- und Nervengewebe benötigen, war Kandlbauer danach fast ein hoffnungsloser Fall. Ob beim Gang auf die Toilette, beim Essen oder sonstigen Tätigkeiten - "ich war anfangs immer auf Hilfe angewiesen", sagt der Auto- und Motorradfan.
Heute hantiert er ganz selbstverständlich mit Geschirr und Besteck. In der Firma, in der er früher als Kfz-Mechaniker beschäftigt war, arbeitet er wieder als Lagerist - dank seiner gedankengesteuerten Armprothese. Das Modell, das er links trägt, ist ein Prototyp, der Österreicher der einzige Patient in Europa.
In einer aufwändigen Operation wurden die Nerven, die für die Bewegung des Armes zuständig sind, mit Brustmuskeln verbunden. "Das Gehirn glaubt so noch immer, dass der amputierte Arm vorhanden ist", erklärte Chirurg Manfred Frey vom Wiener Allgemeinen Krankenhaus. In den Schaft der Prothese sind Elektroden eingearbeitet, die die Steuersignale an den amputierten Arm aufnehmen. Die "künstliche Intelligenz" der Prothese erkennt die Signale und setzt diese in Bewegungen um.
In der Praxis bedeutet das: Kandlbauer kann an die Bewegungen seines verlorenen Armes "denken" - sein linker Bionik-Arm führt sie aus. Mit sieben statt der sonst üblichen drei Gelenke kommt die Prothese auch den Bewegungen eines "echten" Armes viel näher. Das Gegenstück trägt Kandlbauer auf der anderen Seite. Die "klassische" Prothese seines rechten Arms wird mit Muskelkraft gesteuert - kein Vergleich zur "Hightech" links.
Auf ersten Fotos sah Kandlbauer - schwer verkabelt - noch eher seinem steirischen Landsmann Arnold Schwarzenegger in "Terminator" ähnlich. Mittlerweile ist das Prothesenmodell wesentlich unauffälliger geworden und sitzt unter einer Silikonhaut. Und nach der mehrjährigen Testphase kommt der 22-Jährige immer besser mit der Technik zurecht.
Mit der erfolgreichen Führerscheinprüfung erfüllte er sich im Oktober einen Traum. Der Fahrzeugbauer Paravan hat dafür ein herkömmliches Auto umgebaut, der österreichische Tüv hat es abgenommen. Kandlbauer kann nun problemlos am Straßenverkehr teilnehmen - für andere Fahrer sieht es tatsächlich nach nichts Besonderem aus.