Genie wider Willen: Sigmar Polke in Köln
Köln (dpa/lnw) - Eigentlich dürfte es die Sigmar-Polke-Ausstellung im Kölner Museum Ludwig gar nicht geben. Denn Polke hat sich sein ganzes Leben lang lustig gemacht über den Geniekult des Kunstbetriebs.
„Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“ heißt sein bekanntestes Bild. Deshalb entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, wenn er nun selbst als begnadeter Ausnahme-Künstler gefeiert wird.
Die Ausstellung ist die erste Retrospektive seit Polkes Tod vor fünf Jahren. In abgewandelter Form war sie zuvor im Museum of Modern Art in New York und in der Tate Gallery in London zu sehen, den beiden wichtigsten Museen für moderne und zeitgenössische Kunst überhaupt. Dies zeigt schon den Stellenwert Polkes. Die Kölner Ausstellung geht über New York und London hinaus, indem sie Polke nicht nur als Maler zeigt, sondern als einen Künstler, der mit allen möglichen Medien arbeitete, vor allem auch mit Foto und Film.
Polke hat in Köln den Großteil seines Lebens verbracht, ebenso wie sein Studienfreund Gerhard Richter. Doch während dieser geradezu schüchtern ist, war Polke eine respekteinflößende Erscheinung. Ein großer Mann, der einen Raum sofort dominierte - so schildern ihn diejenigen, die ihn erlebt haben. Richter selbst sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Polke war extremer als ich. In den 1970er Jahren war Polke dann in einer ganz anderen Szene als ich und nahm auch Drogen.“ Damals zerbrach die Künstlerfreundschaft.
Legendär sind Polkes schlechten Manieren. Die Zeitung „The Guardian“ verbreitete vor ein paar Jahren eine Geschichte, wonach er sich einmal, als einige stinkreiche Sammler sein Atelier besuchten, von hinten angeschlichen und einem von ihnen gegen den Mantel gepinkelt hatte. Ein anderes Mal zerriss er die Grafiken, die ein Sammler gerne kaufen wollte, vor dessen Augen. „Die magst du doch so gerne“, sagte er dabei.
Die Kölner Ausstellung zeichnet Polkes Entwicklung chronologisch nach. Ganz von selbst erschließt sich so, wie stark er jeweils auf aktuelle Entwicklungen reagierte. „Für mich ist das die größte Überraschung: dass wir hier nochmal die ganze Geschichte der BRD aufgefaltet sehen“, sagt die Kuratorin Barbara Engelbach. Es beginnt mit Bildern von Oberhemden, Socken, Würsten und Schokolade. Wie die amerikanische Pop Art setzt sich Polke mit der Warenwelt der Konsumgesellschaft auseinander, aber kritischer, spöttischer als Warhol und Lichtenstein.
Immer wieder erwarten den Betrachter böse Überraschungen: Zwei „Freundinnen“ wirken aus der Distanz wie Illustrierten-Models, geht man näher heran, erscheinen ihre Augenhöhlen schwarz und tot. In einer abstrakten Konstruktion wird ein angeschnittenes Hakenkreuz erkennbar. Und überall zerstören Kleckse, Flecken, Druckstellen und andere Fehler die schöne Ordnung.
Später experimentiert Polke mit Meteoritenstaub, Schneckensaft, Uran und hochgiftigem Kobaltnitrat, schafft Bilder, die sich je nach Temperatur oder Blickwinkel verändern. Man nennt ihn den „Alchemisten“, den „Magier“ - alles Begriffe, die er ablehnt. Am Ende malt er einfach wunderbare Bilder - riesig groß und von selten gesehener Leuchtkraft. Und er schafft ebensolche Kirchenfenster im Grossmünster von Zürich.
Hier ergeben sich wieder Parallelen zu Gerhard Richter, der zu dieser Zeit sein Fenster für den Kölner Dom entwarf. Doch obwohl die beiden jahrzehntelang in derselben Stadt lebten, haben sie nicht mehr zusammengefunden. „Als ich in Köln wohnte, haben wir uns nie besucht, kaum jemals gesehen“, erinnert sich Richter. Er bedauert das. Und freut sich nun umso mehr auf die Ausstellung.