Mörder Gäfgen erhält Foltervorwürfe aufrecht
Frankfurt/Main (dpa) - Die Folterdrohungen der Frankfurter Polizei gegen den Entführer und Mörder Magnus Gäfgen sind wahrscheinlich nicht von allerhöchster Stelle gebilligt worden.
Der frühere Frankfurter Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner nannte am Donnerstag vor dem Frankfurter Landgericht den damaligen LKA-Chef Norbert Nedela als ständigen Kontaktmann im Entführungsfall Jakob von Metzler aus dem Jahr 2002. Mit dem damaligen Innenminister Volker Bouffier, der im Urlaub gewesen sei oder seinem Staatssekretär Udo Corts (beide CDU) habe er nie gesprochen. Nedela habe Corts wohl nur im Nachhinein und überblicksmäßig informiert.
Nedela habe sich am Vorabend des umstrittenen Verhörs zustimmend geäußert, dem Verdächtigen „die Instrumente zu zeigen“, bestätigte Daschner dem Gericht. Es sei darum gegangen, das entführte Kind aus akuter Lebensgefahr zu retten. Über die konkrete Anwendung der angedachten Maßnahmen sei noch nicht entschieden worden, berichtete der Pensionär. Das wäre am nächsten Tag Sache des aus seinem Urlaub zurückgekehrten Frankfurter Polizeipräsidenten Harald Weiss-Bollandt gewesen. Nedela sei ihm gleich zu Beginn des Entführungsfalls am 27. September 2002 als alleiniger Gesprächspartner genannt worden.
Gäfgen hatte bereits nach den Drohungen die Beamten zur Leiche des von ihm getöteten Jakob geführt. Er verlangt wegen traumatischer Spätfolgen 10 000 Euro Schmerzensgeld vom Land Hessen als Dienstherr der verantwortlichen Polizisten. Ein Urteil des Gerichts wurde am Donnerstag nicht mehr erwartet. Der zwischenzeitlich zum Landespolizeipräsidenten aufgestiegene Nedela war im Herbst wegen seiner umstrittenen Personalführung in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden.
Gäfgen hatte zuvor seine Foltervorwürfe gegen die Frankfurter Polizei weiter konkretisiert. Er sei von einem Vernehmungsbeamten geschlagen und mit Schmerzen, Vergewaltigung, einem Wahrheitsserum und sogar mit dem Tod bedroht worden, erklärte der 35 Jahre alte Häftling am Donnerstag in dem Zivilprozess, wo es auch um Schadenersatz in unbekannter Höhe gegen das Land Hessen geht. Gäfgen leidet angeblich unter posttraumatischen Spätfolgen der illegalen Polizeimethoden.
Bei dem umstrittenen Verhör am Morgen des 1. Oktober 2002 im Polizeipräsidium ging es um den Aufenthaltsort des entführten Bankierssohn Jakob von Metzler. Gäfgen offenbarte unter dem Verhördruck das Versteck des Jungen, den er schon vier Tage zuvor getötet hatte. Gäfgen hatte die Tat in seinem Strafprozess erneut gestanden und verbüßt nun eine lebenslange Haftstrafe im nordhessischen Schwalmstadt. Wegen der festgestellten schweren Schuld kann seine Strafe nicht bereits wie sonst üblich nach 15 Jahren Haft im Jahr 2017 überprüft werden.
Der Vernehmungsbeamte Ortwin E. bestritt den Vorwurf in Details. Daschner habe ihn beauftragt, den leugnenden Gäfgen auf ein Wahrheitsserum und mögliche Schmerzen durch einen einfliegenden SEK-Beamten „vorzubereiten“, sagte der Polizist. Das habe er auch getan. Dem Verdächtigen habe er klargemacht: „Wir wollen und müssen wissen, wo der Junge ist. Wir wollen das Leben des Kindes retten.“
Der 57 Jahre alte Polizist stritt aber ab, den Jura-Studenten beim Verhör angefasst, mit Gesten einen einfliegenden Hubschrauber dargestellt oder Gäfgen aus der Nähe bedroht zu haben. „Um Gottes Willen. Der strahlte so eine Kälte aus. Ich habe den in meinem Leben noch nicht berührt.“ Er habe Gäfgen auch nicht gedroht, dass er im Gefängnis von „zwei großen Negern“ vergewaltigt werden könnte. Diese Drohung hatte Gäfgen ebenfalls erneut geschildert. Vielmehr habe er dem Studenten die Angst vor dem Gefängnis nehmen wollen, um ihn zum Reden zu bringen.
Der Münchner Psychologe und Psychiater Norbert Nedopil hielt Gäfgen für eindeutig traumatisiert, wies aber auf zahlreiche andere belastende Momente hin. Schon vor dem Verhör sei Gäfgens Lügengebäude zusammengebrochen, er habe die eigene Lebensperspektive zerstört und er habe den Tod seines Opfers miterlebt. Nach seiner Einschätzung sei der Tod des kleinen Jakob die für Gäfgen belastendste Erfahrung gewesen. Die Folterdrohung könne die bereits vorhandene psychische Störung noch graduell verstärkt haben.
Daschner hatte mit einem Aktenvermerk die illegale Folterdrohung öffentlich gemacht und wurde später wie der Vernehmungsbeamte E. wegen Nötigung verurteilt. E. bezeichnete die Entscheidung am Donnerstag als „politisches Urteil“. „Man musste uns irgendwie verurteilen.“ Er habe auf eine Berufung verzichtet, weil auch Daschner keine Rechtsmittel mehr einlegen wollte.