Udo Jürgens und der ganz normale Wahnsinn
München (dpa) - Udo Jürgens ist so etwas wie der „Elder Statesman“, ein Staatsmann der deutschsprachigen Musik. Respektiert wird er von eigentlich allen - egal, ob sie das, was er auf der Bühne macht, mögen oder nicht.
Er gilt als „Moralist am Klavier“ („taz“), als Moralist im Bademantel - und diesem Titel macht Udo Jürgens auch auf seinem neuen Album alle Ehre. „Der ganz normale Wahnsinn“ heißt die Platte, die an diesem Freitag veröffentlicht wird. Seit mehr als 40 Jahren ist Jürgens einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Künstler. Er hat über 100 Millionen Alben verkauft, mehr als 1000 Lieder geschrieben und dafür einen Preis nach dem anderen bekommen.
Damit ist Udo Jürgen Bockelmann - so sein bürgerlicher Name - eine Ausnahmeerscheinung. Und das weiß er auch: „In meinem Fall ist das unnatürlich lang“, räumt er bei der Albumpräsentation am Donnerstag in München ein. „Aber es macht mir immer noch Spaß.“ Passend zum Start des neuen Albums gibt es Platin für 200 000 verkaufte „Best of“-CDs in Deutschland.
Jürgens, dessen große Erfolge wie „Griechischer Wein“, „Mit 66 Jahren“ oder das stets im Bademantel hingehauchte „Merci Chérie“ heute so etwas wie deutschsprachiges Kulturgut sind, zeigt sich auf seiner neuen Platte von seiner vielleicht besten und auch durchaus experimentierfreudigen Seite. Er swingt, jazzt, spielt mit Big Band - und nährt einmal mehr Zweifel daran, dass dieser leidenschaftliche Musiker tatsächlich schon 76 Jahre alt sein soll. Im kommenden Jahr geht er auf große Tournee.
Er selbst, der von sich sagt, so langsam werde er erwachsen, hält sein Album allerdings für relativ unmodern. „Alles ist live eingespielt“, betont der Österreicher. „Es gibt keine Computer, die Sounds verändert haben. Das sind alles Menschen.“ Außerdem habe er sich - im Gegensatz zu vielen anderen - darum bemüht, dass seine Texte auch verstanden werden. „Es wird heute sehr viel genölt auf Schallplatten - das ist modern.“
Die Musik sei für ihn - gerade auch jetzt aktuell angesichts der Schreckensnachrichten aus Japan - ein Mittel der Angstbewältigung. „Musik ist gut gegen Angst“, sagt er. Doch ganz offensichtlich ist Musik für ihn - den „Moralisten“ - noch mehr als das. Das bestimmende Gefühl müsse „Liebe zu den Menschen“ sein. „Wenn wir das nicht haben, werden wir diesen Erdball nicht erhalten können“, sagt er und nimmt das auch als Grundlage für seine Lieder, die auf diesem Album mitunter sehr persönlich werden. Im melancholischen „Oktoberwind“ singt er vom Herbst, der „ohne Rücksicht seinen Lauf“ nimmt und lässt keinen Zweifel daran, dass er damit nicht nur eine Jahreszeit, sondern auch ein ganzes Leben meint. „Der Verfall macht auch vor mir nicht Halt“, sagt er im Interview. „Es hat keinen Sinn, sich jünger zu machen, als man ist.“
Das heißt aber noch lange nicht, dass er mit von Menschenhand geschaffenen Strukturen zimperlich umgeht - ganz im Gegenteil. Genau den gesellschaftlichen „Wahnsinn“, der Titel des Albums und des ersten Songs ist, nimmt er in all seinen Facetten aufs Korn. „Terror, Sex und Talentklau“, Analogkäse und Zoff auf Schalke sind die Themen des Titelsongs. Es gibt eine Medienschelte, Kritik an „nackten Deppen im Container“ und eine Feststellung: „So kann's nicht weitergehen.“ Er versuche immer, Aussagen zu transportieren, die ihm wichtig seien. „Weil ich als Schlagersänger gelte, werden sie aber nicht zur Kenntnis genommen.“
Wichtiges Thema für ihn sei auch der seiner Ansicht nach „bedrohliche“ digitale Kommunikationswahn dieser Tage. „Du bist durchschaut“ heißt das fünfte Lied auf dem Album, in dem ein Satz lautet: „Die Welt ist eine Google, da bleibt ja gar nichts mehr geheim.“ Er persönlich könne mit dem Internet und sozialen Netzwerken nur wenig anfangen. „Ich stamme aus einer anderen Zeit als Lady Gaga“, sagt er.
Und noch etwas, das dazu passt, stört ihn: Das Umgreifen von Anglizismen in der deutschen Sprache, Thema von „Alles ist so easy“ - einem sehr untypischen Jürgens-Song, wie er selbst sagt. „Viele in unserer Gesellschaft geben sich außerordentlich cool“, sagt er. „Aber es hört sich nicht nur cooler, sondern auch leichter an.“ Die deutsche Sprache sei oft viel prägnanter, viel direkter. Auch das beweist Jürgens mit seinem neuen Album.