Porträt: Mireille Mathieu - Die Rückkehr eines Mythos
21 Jahre lang mussten ihre deutschen Fans auf Schlagerstar Mireille Mathieu warten. Nun ist der "Spatz von Avignon" mit einer Tournee zurück.
Düsseldorf. Als Mireille Mathieu am Samstagabend kurz nach 20Uhr die Bühne der Philipshalle betritt, könnte man meinen, sie habe sich eingefroren und nach 21 Jahren wieder aufgetaut.
Die dunkel glänzenden Haare perfekt in Prinzessin Eisenherz-Form frisiert, die Lippen kirschrot geschminkt und dazu die vornehme Blässe einer Frau, die mit eiserner Disziplin und Fleiß ihren märchenhaften Weg vom Aschenputtel zur umjubelnden Bühnenkönigin absolviert hat.
Viel zu lachen hatte die Sängerin als Kind nicht. Als älteste von 14 Geschwistern wuchs die Tochter eines Steinmetzes in Armut auf. Mit 14 musste die heutige Millionärin die Schule verlassen, um in der Fabrik Briefumschläge zu kleben.
Die Familie lebte in einer kleinen Holzhütte. Die erste Sozialwohnung erschien dem kleinen Mädchen aus Avignon damals wie ein Palast.
Doch dann ging für Mireille Mathieu bei einem Gesangswettbewerb die Sonne auf. Die scheint auch heute noch über ihren Konzerten zu strahlen, sobald die 1,53 Meter kleine Sängerin ihren Fans ein Lächeln oder ein mit charmanten Akzent versehenes "Dankeschön" schenkt.
Das ist es auch, was Mathieu von ihrem großen Vorbild Edith Piaf oder der legendären Chansonette Juliet Gréco unterscheidet. Wenn die 61-Jährige "La Vie En Rose" oder "Je Ne Regrette Rien" singt, wirken diese Lieder nur wie Gesten, die große Interpretation bleibt aus.
Das Brüchige, das diesen Chansons ihre Bedeutung verleiht, fehlt der Frau, die ihren Lebenslauf schnurgerade wie kaum eine andere Sängerin gestaltet hat.
Das wilde Nachtleben mit seinen Alkoholexzessen und Beziehungsdramen hat die unverheiratete Französin stets gemieden und sich, was ihr Privatleben betrifft, immer bedeckt gehalten. Stattdessen gilt die Schlagerlegende als häuslich, familienverbunden und religiös. Noch immer wird sie von ihrer 85-jährigen Mutter Marcelle bei den Konzerten begleitet.
Die große politische Aussage hat die Mathieu in ihren 1200Liedern immer vermieden, obwohl sich die Großen der Politik um sie bemühten. Mireille Mathieu ist Frankreich und Frankreich ist Mireille Mathieu - so könnte man die Rolle beschreiben, die die Ritterin der Ehrenlegion für ihr Land einnimmt.
Was ist es, das Mathieu weltweit zu einem Ausnahmephänomen macht? Da ist zum einen die strahlend reine Stimme, die Schlagern oder dem Hit "Somewhere Over The Rainbow" ungeahnte Kraft einhaucht.
Und da ist das ewige Fräulein, der die vier Jahrzehnte im harten Showgeschäft zumindest äußerlich kaum etwas anhaben konnten. Sie ist für die Fans so etwas wie ein Jungbrunnen.
Ein dritter Erklärungsversuch für die erfolgreichste französische Sängerin ist wohl ihre musikalische Wandlungsfähigkeit. So ist sie in Deutschland die Schlagerkönigin, in Spanien die Herrin der Balladen und in ihrer Heimat die Chansonette.
Ob auf Deutsch, Englisch, Russisch, Chinesisch oder Japanisch - immer gelingt es dem "Spatz von Avignon", die Fans mit unter seinen ewig blauen Himmel zu nehmen.