Religion: Das Wunder von Marxloh
In Europa führen neue Moscheen oft zu heftigen Debatten. In Duisburg eröffnet am 26. Oktober das größte islamische Gotteshaus Deutschlands – und niemand regt sich auf.
Duisburg. Der Wind bläst Schwefelgeruch vom Stahlwerk durch die Straßen. An den Backstein-Fassaden der Zechenkolonie haftet der Dreck des 20. Jahrhunderts, und die Schaufenster der Warbruckstraße sind dunkle Löcher.
Der Damensalon Bayan Kuaföru hat wie so viele Läden aufgegeben. "Zu vermieten", steht auf dem Schild. Auf der Weseler Straße stemmt sich noch ein deutsches Geschäft gegen den Niedergang: das Beerdigungs-Institut Lademann.
Ein Gang durch Duisburg Marxloh ist ein Gang durch die Welt von gestern. Doch die neue Pracht des 21. Jahrhunderts entfaltet sich nur ein paar Häuserblocks weiter.
Mustafa Kücük steht auf dem roten Teppich, über ihm vier gewaltige Kuppeln mit türkis leuchtenden Fenstern, Blattgold-Ornamenten und Mosaiken. "Früher haben die Imame in einer alten Kantine der Zeche Walsum gepredigt, da hat sich die Gemeinde geschämt, Gäste einzuladen", sagt er in akzentfreiem Deutsch und rückt seine Armani-Brille zurecht. Dann zeichnet er mit seinen Händen einen Halbkreis in die Luft. "Das hier ist würdevoll", sagt er. "Es ist wichtig, dass wir nun endlich auch als Gastgeber auftreten können."
Die Marxloher Moschee soll mehr sein als ein Ort, an dem Muslime zu Allah beten. Sie soll zu einem Ort der Begegnung werden, mit christlich-muslimischen Feiern, mit Touristenführungen und Kursen. Im Untergeschoss ist deshalb eine Begegnungsstätte entstanden. Ein Bistro gibt es dort, Säle und eine Bibliothek, die über alle Weltreligionen informiert. "Das hier wird ein offenes Haus", sagt Kücük.
Der 37-Jährige hat dunkle Schatten unter den Augen, weil er eben nicht nur Thyssen-Arbeiter und CDU-Kommunalpolitiker ist, sondern auch ehrenamtlicher Sprecher der Ditib-Gemeinde. Und die hat in den vergangenen zehn Jahren Deutschlands größte Moschee gebaut. Jetzt, neun Tage vor der Eröffnung, kommen täglich Dutzende Journalisten vorbei, um sich das Wunder von Marxloh erklären zu lassen.
Auch Reporter der Washington Post und von Newsweek waren da, und sie alle treibt die Frage um: Wie kann es sein, dass überall in Europa Kulturkämpfe um entstehende islamische Wahrzeichen toben, während die Moschee von Marxloh ohne nennenswerte Proteste Gestalt annahm?
"Wir haben hier von Anfang an alle an einem Strang gezogen", sagt Kücük. Im Moscheebeirat sitzen die christlichen Kirchen, Vereine und die Stadt Duisburg. Sie alle haben mitgeredet, haben zum Beispiel entschieden, dass kein Muezzin zum Gebet rufen wird. "Wir wollen nicht provozieren", sagt Kücük.
Mustafa Kücük war ein Jahr alt, als er mit seinen Eltern nach Deutschland kam. Er ist keiner, der die Sprachlosigkeit schönredet, die das Verhältnis zwischen Immigranten und Deutschen über Jahrzehnte prägte. Aber Kücük glaubt auch an die Chance seiner Generation: "Wir sind Teil der deutschen Gesellschaft", sagt er, "und wir können erreichen, dass Christen und Muslime Freunde werden."
Kücük steht am Fenster der Bibliothek und zeigt aus dem Fenster auf den verwitterten Kirchturm gegenüber. Sankt Peter wird vom Essener Bistum nur noch als "weitere Kirche" geführt, was heißt, dass sie nicht länger finanziert wird - Marxloh gehen die Katholiken aus.
Wird hier das Abendland zum Morgenland? Kücük schüttelt den Kopf. "Der Islam wird das gleiche Problem bekommen wie die christlichen Konfessionen", sagt er. Für die meisten jungen Migranten der dritten Generation spielten religiöse Traditionen keine große Rolle mehr. "Aber das geht in der öffentlichen Diskussion unter, weil alle nur auf die kleinen fundamentalistischen Gruppen starren."