Sarah Harrison: Die Frau an Snowdens Seite

Ihre Spuren im Netz hat Journalistin und Wikileaks-Aktivistin Sarah Harrison fast getilgt — sie ist in heikler Mission unterwegs.

London. Sie stehen zu Zweit im Zentrum eines diplomatischen Sturms: Edward Snowden, Enthüller, Gejagter, berühmtester Asyl-Bewerber der Welt — und eine geheimnisumwitterte Britin, die für sein Geleit sorgt. Sarah Harrison, bis vor kurzem noch unauffällige Londoner Studentin, weicht dem Informanten in seinem Katz-und-Maus-Spiel nicht von der Seite. VIP-Petzer sind ihre Mission.

Sarah Harrison wusste, dass die Wahl auf sie fallen würde, wenn sich plötzlich wichtige, gar gefährliche Aufgaben ergeben sollten. Sie war darauf vorbereitet: Aus dem Netz sind alle ihre Spuren zu ihrer Person, ihrem Leben, getilgt; Reporter, die der jungen Journalistin auf die Schliche kommen wollen, geben frustriert auf: „Keiner will je einen Lebenslauf von ihr gesehen haben“, mokiert sich der Londoner „Evening Standard“ beleidigt.

Im Rampenlicht, neben Edward Snowden, steht eine Unbekannte. Fast. Denn die wenigen Fakten rund um Harrison reichen, um die wildesten Spekulationen fad erscheinen zu lassen. Vor gut einem Monat nahm sie Snowden in Hongkong mutig unter ihren Flügel; mit einem geschickten Hakenschlag brachte sie ihn allein nach Moskau, wo ihm Präsident Wladimir Putin diese Woche befristet Asyl gewährt hat.

Lange, braune Haare, privilegierte Herkunft, Assange-Fan und vielleicht noch mehr als das: Aus ihrem behüteten Zuhause in Essex ist Harrison mit einem Umweg über die Uni geradewegs in den Thriller-Alltag von Wikileaks geschlittert. Als Julian Assange 2010 gemeinsam mit dem Londoner Büro für Investigativen Journalismus (BIJ) geheime Militär-Logbücher aus dem Irakkrieg durchkämmte, wurde ihm Harrison an die Seite gestellt.

Da hatte die damals 28-Jährige sich bei einem unbezahlten Recherche-Praktikum an der City University bereits den Ruf als harter Hund erarbeitet. „Sie war extrem fokussiert, ernst, arbeitete den ganzen Tag wie eine Besessene und machte einen Bogen um die Trinkspielchen der anderen Studenten“, erinnert sich Dozent Gavin MacFayden im „Evening Standard“ an die ungewöhnliche Hospitantin.

Während sich bei Wikileaks die Reihen nach internen Querelen lichteten, Assange wegen mutmaßlicher Missbrauchsdelikte in Schweden erst im Hausarrest und dann in der Botschaft Ecuadors in Westlondon verschwand, diente Harrison ihm als „Augen und Ohren im Gelände“.

Bilaterale Einreise- und Ausweisungsgesetze sollen mittlerweile Harrisons Spezialität sein. Nicht jeder freut sich über ihre brisante Expertise. „Wir hatten ja keine Ahnung, dass sie mit Snowden in Hongkong unterwegs war“, äußert sich ihr Vater (74) gegenüber der „Daily Mail“. „Ich hoffe, sie bricht da keine Gesetze.“ Mutter Jennifer, Lehrerin für Kinder mit Lese-Rechtschreibschwäche, lobt indes ihre „formidable“ Tochter: „Was sie macht, macht sie eben richtig.“

Die bürgerlichen Harrisons hatten ihrer Sarah ein internationales Elite-Abitur an der Privatschule Sevenoaks spendiert — Kosten pro Jahr: 35 000 Euro. Ihre guten Umgangsformen auf internationalem Parkett haben sich in der Tat schon herumgesprochen — wenn auch nicht ganz so, wie die Eltern es sich erhoffen. Sie fragen sich indessen, ob und wann Special Agent Tochter nach erfolgter Mission aus Moskau zurückkehrt.