#4U9525 Schweigepflicht nur im Notfall brechen
Politiker fordern eine Lockerung der Gesetze für sensible Berufe. Ärztekammer warnt vor „vorschnellen Entscheidungen“.
Düsseldorf. Der Co-Pilot der Germanwings-Maschine war vor seiner Karriere im Cockpit in psychotherapeutischer Behandlung und wurde als suizidgefährdet eingestuft. Angesichts dieser Mitteilung der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft wird diskutiert, ob die Grenzen der ärztlichen Schweigepflicht neu gezogen werden müssen.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagt, wenn Leib und Leben anderer Menschen gefährdet seien, dann sei „der Arzt verpflichtet, den Arbeitgeber über die Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters zu informieren“.
Dies gelte „ganz besonders im Fall psychischer Erkrankungen und einer möglichen Selbstmordgefahr“. CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn hält das für falsch. „Der Patient muss sich immer auf das besondere Vertrauensverhältnis zum Arzt verlassen können, nur dann wird er ehrlich und offen sein.“
Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, warnt vor „vorschnellen politischen und rechtlichen Entscheidungen“. Die Schweigepflicht sei „ebenso wie das verfassungsrechtlich geschützte Patientengeheimnis ein hohes Gut und für alle Bürger in Deutschland ein Menschenrecht“.
Nach dem Berufsrecht haben Ärzte über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist, zu schweigen — auch über den Tod des Patienten hinaus. Gemäß § 203 Strafgesetzbuch können Ärzte sogar zu Freiheitsstrafen verurteilt werden, wenn sie ihre Schweigepflicht verletzen.
Aber es gibt Ausnahmen. Zum Beispiel, wenn sie von ihrer Schweigepflicht entbunden werden. Oder wenn eine gesetzliche Meldepflicht besteht, wie sie bei Infektionskrankheiten gilt. Eine weitere Ausnahme ist im § 34 des Strafgesetzbuches geregelt. Dort geht es um den „rechtfertigenden Notstand zur Abwehr von Gefahren“, die von einem Patienten ausgehen.
Wenn der Patient gegenüber dem Arzt etwa die Absicht äußert, einen anderen Menschen zu töten, ist ein solcher Notstand gegeben. Wenn ein alkoholkranker Patient ankündigt, weiter Auto zu fahren, kann der Arzt ebenfalls die Polizei informieren.
Umstritten ist, wann der Arzt die Schweigepflicht brechen darf und wann er dies tun muss. Voraussetzung für einen Bruch ist laut Bundesärztekammer, dass der Arzt zuvor ohne Erfolg versucht hat, seinen Patienten „von der Herbeiführung der Gefahrensituation abzuhalten“.
Offen ist, ob der Arzt, der den Co-Piloten unter anderem für den Tag des Unglücksfluges krankgeschrieben hat, Kenntnis vom Beruf seines Patienten hatte und ob er wusste, dass der 27-Jährige früher in psychotherapeutischer Behandlung war. Laut Hans-Werner Teichmüller, Präsident des Fliegerarztverbandes, durfte der Arzt den Arbeitgeber nicht über die Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters informieren. Der Mediziner hätte lediglich das Luftfahrtbundesamt in Kenntnis setzen dürfen.
Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, regte an, „über die organisatorische Systematik von Krankschreibungen“ nachzudenken. So hielte er es in speziellen Fällen wie dem des Co-Piloten, der nach bisherigen Erkenntnissen den Airbus mit 150 Menschen an Bord absichtlich abstürzen ließ, für denkbar, „dass eine Krankschreibung — selbstverständlich ohne Angabe einer Diagnose — vom behandelnden Arzt direkt und ggf. elektronisch an den Arbeitgeber weitergeleitet wird. Zumindest im vorliegenden Fall wäre dies möglicherweise von Bedeutung gewesen“.