Skandal um Organspenden: Arzt weist Vorwürfe zurück
Der Angeklagte im Göttinger Transplantationsskandal muss sich wegen 14 Tötungsdelikten verantworten.
Göttingen. Ein Jahr lang hat er zu den Vorwürfen geschwiegen, nun offenbarte er sich vor dem Landgericht Göttingen: Zum Auftakt des Prozesses um den Transplantationsskandal präsentierte sich der wegen 14 Tötungsdelikten angeklagte Medizinprofessor als leidenschaftlicher Arzt, der Tag und Nacht für seine Patienten da gewesen sei. Es sei nicht „auf Teufel komm’ raus darum gegangen, alles zu transplantieren“, rief er am Montag in den Saal. „Das ist alles Mythos, alles Legende.“ Es sei ihm auch nie ums Geld gegangen.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig wirft dem Angeklagten versuchten Totschlag in elf Fällen vor, weil er seine Patienten auf dem Papier mehr krank gemacht habe, als sie tatsächlich gewesen seien. Dadurch habe er seine eigenen Patienten auf der Warteliste der zentralen Vergabestelle Eurotransplant nach oben gehievt und billigend in Kauf genommen, dass andere Schwerkranke kein Organ bekamen und möglicherweise starben. Die von dem 46-Jährigen operierten Patienten leben noch. Der Arzt ist außerdem in drei Fällen wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt, weil er Patienten Lebern übertragen haben soll, obwohl dies medizinisch unnötig war.
Seit Januar sitzt der frühere leitende Oberarzt der Uniklinik Göttingen wegen Fluchtgefahr im Gefängnis, mehrere Haftbeschwerden seiner Verteidiger waren erfolglos. Der Mediziner mit dem grau melierten Haar trat in dunkelblauem Jackett und Krawatte auf. Vor Beginn der Verhandlung winkte der Vater von vier Kindern zuversichtlich lächelnd Angehörigen auf den Besucherplätzen zu.
Auf den bundesweit ersten Strafprozess seiner Art blickt ganz Deutschland. Das liegt daran, dass der Transplantationsskandal im vergangenen Sommer das Vertrauen in die Organspende erschütterte und Politik und Ärzteschaft zu Reformen veranlasste. Im Zuge verschärfter Kontrollen wurden Tricksereien an Kliniken in Regensburg, München und Leipzig öffentlich. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, aber es gab noch keine weiteren Anklagen.
„Ich gehe davon aus, dass dieser Prozess entscheidende Weichen stellen wird“, sagte Ruth Rissing-van Saan mit Blick auf das Göttinger Verfahren. Die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof im Ruhestand ist Leiterin der Vertrauensstelle Transplantationsmedizin bei der Bundesärztekammer.
Mehr als eine Stunde lang gab der Medizinprofessor am Montag Einblick in seinen früheren Klinikalltag. Dabei betonte er, dass Entscheidungen über Transplantationen in interdisziplinären Teams getroffen worden seien.
In mehreren Fällen soll der Arzt Alkoholikern ein Spenderorgan verpflanzt haben, obwohl die in den Richtlinien vorgeschriebene Abstinenzzeit von sechs Monaten nicht eingehalten war. „Es ist nicht meine Aufgabe, auf fremde Stationen zu gehen und zu schauen, ob die Patientin Alkohol getrunken hat“, sagte er zu diesem Vorwurf. Hätte er beispielsweise einer etwa 30 Jahre alten Mutter von zwei kleinen Kindern ein Organ verweigern sollen? Im Alltag, so sagte er, müssten Ärzte ständig Entscheidungen treffen, die Leben oder Tod bedeuten. „Der Tod lauert überall.“
Eine fatale Folge der Vertrauenskrise ist, dass die Bereitschaft der Deutschen zur Organspende deutlich zurückgegangen ist. Vor dem Gerichtsgebäude hatte der Bundesverband der Organtransplantierten deshalb einen Stand mit Broschüren aufgebaut. „Es ist falsch, jetzt zu sagen, ich spende nicht“, betonte der Regionalverbandsvorsitzende Peter Fricke. „Damit bestraft man die Kranken und nicht die Verantwortlichen, die sich über Gesetze hinweggesetzt haben, sollten sich die Vorwürfe bestätigen.“