Täglicher Kleinkrieg auf dem Canal Grande
Nach dem Tod eines Deutschen will die Lagunenstadt das Verkehrschaos beenden.
Vendig. Am Tag nach der Tragödie tragen die Gondeln Trauer. Die schwarzen Boote versammeln sich vor der Rialto-Brücke im Canal Grande. 150 Gondolieri sind gekommen, in ihrer Berufskleidung mit gestreiften Hemden, schwarzen Hosen, Hüten. Die Ruder stemmen sie als Zeichen der Trauer in die Höhe. Am Samstag war ein Professor der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität auf dem Canal Grande ums Leben gekommen. Ein Vaporetto, ein mit Diesel betriebener Wasserbus, hatte die Gondel der Familie gegen eine Landungsbrücke gedrückt. Der Familienvater starb, als er seine dreijährige Tochter retten wollte, sie wurde schwer verletzt.
Die Gondolieri behaupten, es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bis der erste Mensch auf einer Gondel im Canal Grande ums Leben kam. Beinahe täglich riskieren die Gondolieri Unfälle, die von den Wasserbussen ausgelösten Wellen und die knappen Manöver treiben sie zur Verzweiflung. „Mörder“ rufen nun einige Gondolieri den Vaporetto-Kapitänen zu. In Venedig herrscht Kleinkrieg auf dem Wasser.
Dabei wirken die offiziellen Zahlen überschaubar: 300 Gondeln, 60 Wasserbusse, 250 Wassertaxis, mehrere Dutzend Transportschiffe sollen auf dem Canal Grande unterwegs sein, 3500 in der gesamten Stadt. Touristenkähne und Yachten sind schon in das Hafenbecken verbannt. Auch Geschwindigkeitsbegrenzungen und ein Videokontrollsystem wurden eingeführt, mit geringem Erfolg.
Jetzt will Bürgermeister Giorgio Orsoni einen runden Tisch mit allen Beteiligten einberufen. „Der öffentliche Nahverkehr der Vaporetti muss Vorfahrt behalten“, sagt Orsoni. In Venedig regiert der Acqua-Darwinismus, der Stärkere verdrängt den Schwächeren. Die Gondeln müssen sich vor den Manövern der Wasserbusse und -taxis in Acht nehmen. Diese wiederum werden von den Kreuzfahrtschiffen, die die Lagune durchqueren, bedroht. Der Canal mit seinen vier Kilometern Länge sei zu klein für den täglichen Wahnsinn.