So legendär wie die Mélange
Kaffeehausgründer Leopold Hawelka wird am Montag 100. Bei dem Wiener waren schon viele Berühmtheiten zu Gast.
Wien. „Ich bin da, das ist Pflicht“, sagt Leopold Hawelka und nimmt einen Schluck seiner Mélange, der Wiener Kaffeespezialität mit Espresso und Milch. „Der Chef muss da sein.“ Dass er immer noch der Chef ist in seinem Kaffeehaus, daran lassen weder Kellner noch Gäste noch er selbst Zweifel. Zwei, drei Stunden täglich sitzt er an einem der Marmortische in dem kleinen Lokal an der Dorotheergasse nahe des Stephansdoms, trinkt eine Mélange, genießt eine Mehlspeise und sieht dem Treiben zu. Am Montagan seinem 100. Geburtstag, wird es nicht anders sein.
Manchmal wirkt der alte Herr in Anzug und Fliege, als würde er in sich hineinschauen. Vielleicht ziehen sie dann an ihm vorüber, die Jahre, in denen er „Das Hawelka“ zu einer Wiener Institution gemacht hat, gemeinsam mit seiner Frau Josefine, die 2005 gestorben ist. „Sie waren ein perfektes Team“, sagt Enkel Michael, der gemeinsam mit Bruder Amir mittlerweile die Geschäfte führt.
Das kleine Café war ihr Lebenswerk. Der Schustersohn aus dem Weinviertel und die Metzgerstochter aus Kremsmünster (Oberösterreich) kauften das kleine Lokal im Mai 1939 — und gleich nach ein paar Monaten mussten sie wieder schließen. Leopold wurde zum Kriegsdienst einberufen. „Im Krieg darf man nicht ehrgeizig sein“, erklärte er einmal. Er tat Dienst als Pferdeputzer und Koch, kam unversehrt zurück und eröffnete das Café ein paar Monate nach Kriegsende unter eigenem Namen neu.
Sein Erfolgsgeheimnis? Tochter Herta antwortet für den alten Herrn: „Er ist der Ruhepol, und er war es immer.“ „Disziplin“, ergänzt Enkel Michael. Für den heutigen Geschäftsführer ist der Großvater ein unerschütterliches Vorbild. „Cafétier sein bedeutet aufmerksam und höflich zu sein, ein Gefühl für Menschen zu haben, Charme und Stil. Das hat mein Großvater im Höchstmaß.“
Hawelka stand über Jahrzehnte hinweg in seinem Café, servierte zunächst selbst und stand später mit aufmerksamem Blick an der Theke, während seine Frau Josefine quirlig durch den kleinen Raum wuselte.
Zu den Gästen, die das Jugendstil-Café ab den 1970er Jahren bevölkerten, gehörten zunehmend auch illustre Personen: André Heller und Ilse Aichinger sowie Friedensreich Hundertwasser. Künstler, Schriftsteller und Intellektuelle verbrachten Tage und Nächte dort. „Ein Kaffeehaus lebt mit seinen Gästen“, hat Michael vom Großvater gelernt. Später traten die Großen der Welt durch die Schwingtür: Hans Dietrich Genscher und Bill Clinton sind nur einige Namen, die im dicken Gästebuch verewigt sind. Sie alle hat Hawelka persönlich begrüßt, an einen Tisch gebeten, verabschiedet — und dazwischen in Ruhe gelassen. „Da sein, ohne aufdringlich zu sein“, nennt es Enkel Michael.