Spanier verschlucken sich zu Silvester
Mit den letzten Glockenschlägen des Jahres wirft man sich zwölf Weintrauben in den Rachen.
Madrid. Ausgerechnet zum Jahresende, in der Silvesternacht, erleiden die Spanier merkwürdig viele Erstickungsanfälle. Und erst Recht jene Ausländer, die sich tollkühn in eine spanische Silvesterfeier wagen. Als Ursache gilt jener Brauch, der vorschreibt, zu den zwölf letzten Glockenschlägen des Jahres um Mitternacht binnen Sekunden zwölf Weintrauben in den Rachen zu werfen.
Wie tausende von Menschen bei diesem gemeinschaftlichen "Traubenschlucken" plötzlich um Luft ringen, lässt sich am besten im Herzen Madrids beobachten. Auf jenem zentralen Platz namens "Puerta del Sol" (Tor der Sonne) trifft sich in der Silvesternacht ganz Madrid zur größten Party des Landes.
Zwar sperrt die Polizei die Zugänge, sobald sich zehntausende Menschen dicht an dicht auf dem Platz drängen. Doch der Rest feiert und schluckt dann am Fernseher mit, wenn die große Party an der "Puerta del Sol" auf allen Kanälen direkt übertragen wird.
Über dem Platz wacht das schmucke Gebäude des "Königlichen Postamtes" aus dem 18. Jahrhundert, in dem heute die Regierung der Region Madrid residiert. Und ganz oben im Turm befindet sich jene Stadtuhr, die für das Königreich den Ton und die Zeit vorgibt.
Wenn die letzten Augenblicke des Jahres beginnen, dann zählen die Glocken dieser wohl berühmtesten Uhr Spaniens den Countdown bis zum Beginn des neuen Jahres. Alle drei Sekunden ein Glockenschlag, mit dem Millionen Menschen auf Kommando eine Traube in den weit geöffneten Mund werfen und schnell herunter würgen.
Punkt Mitternacht, mit dem zwölften Schlag, muss die zwölfte Traube im Hals stecken - aber möglichst nicht steckenbleiben. Nur dank dieser Tortur, so behauptet der Volksglaube, bringe das neue Jahr auch das erwünschte Glück, viel Gesundheit und großen Geldsegen. "Glückstrauben" werden die essbaren Heilsbringer genannt.
Damit das Traubenspiel nicht mit einem gesundheitlichen Unglück endet, wurde der Abstand zwischen den einzelnen Glockenschlägen sicherheitshalber auf Anordnung der behördlichen Brauchtumswächter eigens auf drei Sekunden verlängert.
Der wundersame Brauch, den sich angeblich die Weinbauern in einem Jahr mit Absatzflaute ausdachten, hat sich übrigens zum großen Geschäft entwickelt: Mehr als 500 Millionen Trauben werden in Spanien zum Jahresende abgesetzt. Als frische Ware. Oder für bequeme Fiesta-Freunde in kleinen Büchsen, fertig geschält und entkernt, um die Traubenqual bekömmlicher zu gestalten - die Büchse mit zwölf Träubchen zum Durchschnittspreis von wenigstens einem Euro. Kein Wunder, dass die Traubenanbieter schon vor Silvester die Korken knallen lassen.