Putin, Erdogan, Trump 2017 — das Jahr der Autokraten?
Wladimir Putin wird im kommenden Jahr alles daran setzen, die Wiederwahl von Angela Merkel zu verhindern. Er kann dabei auf die Hilfe seiner neuen Freunde Recep Tayyip Erdogan und Donald Trump setzen.
Paris/Berlin. Offiziell heißt das in der Pariser Wintersonne glänzende Bauwerk „Centre spirituel et culturel orthodoxe russe“. Im Volksmund hörte die russisch-orthodoxe Kathedrale mit angegliederter Schule und „Kulturzentrum“ (der ganze Komplex genießt den Status diplomatischer Immunität) schon vor ihrer Einweihung auf den Namen „Sankt Wladimir“. Putin hätte die gebaute Machtdemonstration (Kosten: 170 Millionen Euro), die sich am Quai Branly vor die Kulisse des Eiffelturms schiebt, als Zeichen seiner Rückkehr auf die europäische Bühne gern selbst eingeweiht. Doch dann platzte sein Staatsbesuch vor dem Hintergrund des Syrien-Kriegs.
Wenn 2017 ähnlich gut für den Kreml-Herrscher läuft wie 2016, würde er im kommenden Jahr mit offeneren Armen in Frankreich empfangen. Trotz der EU-Sanktionen gegen russische Staatsbanken unterstützt Russland den „Front National“ (FN) und seine Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen nun mit einem Kreditrahmen von rund 40 Millionen Euro, pünktlich zum Wahlkampf hat der russische Staatssender „RT“ in Paris einen Ableger bekommen. Putins offenkundiges Ziel bei den Wahlen in Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und Italien ist die Stärkung rechtspopulistischer Parteien, um Europa insgesamt zu schwächen.
Sollte sie die Wahl mit ihrem erklärten Vorbild Putin gewinnen, so die Rechtsextremistin Le Pen zum Wahlkampfauftakt, werde sie mit Putin und dem neuen US-Präsidenten Donald Trump ein Trio bilden, „das gut für den Weltfrieden wäre“. Und natürlich würde sie Frankreich nach britischem Vorbild aus der EU führen. Eigentlich kann Putin in Frankreich gar nicht verlieren, denn auch der konservative Kandidat François Fillon gilt als sein Fan und spricht sich für eine Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland aus. Das ist es, was Putin erreichen will. Der Weg dorthin führt aber nicht über Paris, sondern über Berlin.
Aus diesem Grund werde Angela Merkel „das nächste Ziel der umfassenden Desinformation und Einfluss- Operationen des Kremls“ sein, schrieb der tschechische Russland-Experte Jakub Janda kürzlich: „Und sie weiß es, genauso wie die deutschen Geheimdienste. Merkel sagte, sie erwarte, dass russische Desinformation eine Rolle bei den Bundestagswahlen im September 2017 spielen werde.“
Tatsächlich warnte Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen Anfang des Monats vor Journalisten in Berlin, die Hinweise auf Versuche einer Beeinflussung der Bundestagswahl im kommenden Jahr verdichteten sich. Man stelle im politischen Bereich „zunehmend aggressive Cyberspionage“ fest. Ungewohnt deutlich warnte Maaßen, es könnten im Wahlkampf durch Cyberattacken gewonnene Informationen auftauchen, um deutsche Politiker zu diskreditieren. Gefährdet seien, so Maaßen noch deutlicher, Regierungsmitglieder, Bundestagsabgeordnete und Mitarbeiter von Parteien.
Unterstützend zu Putins eigenem Desinformations-Apparat, den in Deutschland mit mehreren hundert Mitarbeitern vertretenen Sendern „RT Deutsch“ und „Sputnik“ sowie der Video-Agentur „Ruptly“, betätigen sich vor allem Pegida- und AfD-Anhänger als informelle Mittäter bei der Verbreitung von „Fake News“ in den Sozialen Netzwerken. AfD-Funktionäre gehören zu den liebsten Interview-Partnern der russischen Staatsmedien, gleichzeitig teilen und verlinken sie besonders häufig „Nachrichten“ von RT. In der EU existiert bislang lediglich eine hochtrabend „East StratCom Task Force“ genannte Truppe von neun Beamten, die Informationen über die Desinformationen von Pro-Kreml-Medien auswertet und veröffentlicht. Wie der „Spiegel“ berichtet, drängt das Innenministerium von Thomas de Maizière nun auf ein deutsches Abwehrzentrum zur „Bekämpfung politischer Desinformation“ in sozialen Netzwerken; einige Medien und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) witterten prompt den Versuch, eine „Zensurbehörde“ einzurichten.
Die Ziele des russischen Desinformations-Angriffs auf Deutschland und die Kanzlerin seien einfach, so Jakub Janda: Es gehe darum, „ihre persönliche Legitimität zu verringern, die derzeitige deutsche Politik des Widerstands gegen die russische Aggression zu untergraben und ihre Gegner zu unterstützen, die zur gleichen Zeit Putin beschwichtigen oder gar mit dem russischen Autokraten kooperieren“. Die Kreml-Desinformation konzentriere sich daher auf die Erschaffung „eines noch größeren Chaos mit gefälschten Opfern, gefälschten Geschichten und der fortlaufenden Erzählung, dass Deutschland wegen Merkel zusammenbricht“.
Und an dieser Stelle komme Putins Handelspartner Türkei ins Spiel: „Wenn Putin — vermutlich in Zeiten einer anderen Krise oder vor den Bundestagswahlen — den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan dazu bewegen könnte, die Schleusen für Migranten nach Europa zu öffnen, würde es der Kanzlerin weh tun. Die Balkanroute ist geschlossen, aber eine große humanitäre Katastrophe in Griechenland würde wieder auf ihren Schultern liegen.“ Und ganz gleich, wie Merkel eine solche Krise dann löse, nähme ihr Putin damit Wahlkampfzeit, Energie, politischen Einfluss und einen Teil der Wähler weg.
Das Szenario ist keineswegs unrealistisch. Erdogan steht unter Druck: Die Verfolgung von Massen angeblicher Putschisten der Gülen-Bewegung belastet offenbar schon jetzt Teile des türkischen Staatsapparats und Militärs bis an die Grenze der Funktionsfähigkeit. Geschickt erlaubt Putin es Erdogan, sich als entscheidender regionaler Machthaber eines angeblichen syrischen Friedensprozesses zu inszenieren — und treibt damit zugleich einen Keil in die Nato, der es bislang nicht wirklich gelingt, Polen und den baltischen Staaten ein Gefühl echter Sicherheit gegen russische Aggressionen zu vermitteln.
Der Konflikt zwischen der EU und Türkei kann sich 2017 mühelos weiter zuspitzen, nicht nur durch die Einführung der Todesstrafe in der Türkei oder EU-Wirtschaftssanktionen zur Abstrafung von Erdogans zivilem Putsch. Das Flüchtlings-Abkommen ist zwar auf Dauer kein echtes Druckmittel, aber eine Aufkündigung könnte Rechtspopulisten in ganz Europa weiteren Auftrieb geben, die gemeinsame Flüchtlingspolitik weiter hintertreiben und die Kosten explodieren lassen. Jakub Janda hat der Bundesregierung längst Vorschläge unterbreitet, wie Putins Strategie auszuhebeln wäre; das Papier liegt weitgehend unbeachtet in der Bundesakademie für Sicherheitspolitik des Verteidigungsministeriums.
Bemerkenswert ist, wo Janda seine Einschätzung veröffentlichte: auf der Online-Plattform „Observer“, die von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner herausgegeben wird. Dass Trump Einschätzungen liest, die den Umfang einer Twitter-Nachricht übersteigen, gilt als ausgeschlossen. Immerhin blieb ihm nicht verborgen, dass New-York-Times-Kolumnist Nicholas Kristof ihm kurz vor Weihnachten bescheinigte, Putins Schoßhündchen zu sein, ein „russischer Pudel“.
Er hätte nicht gedacht, jemals einen Streit zwischen Amerikas Geheimdienstgemeinschaft und einem „mörderischen ausländischen Diktator“ zu sehen, in dem ein amerikanischer Anführer an der Seite des Diktators steht, schrieb Kristof in Bezug auf die von CIA und FBI vermutete Einflussnahme Putins auf die US-Wahl. Von Trump hängt nun ab, ob Putin freie Hand hat, um den Krieg in der Ost-Ukraine zu eskalieren und als Preis für einen echten Waffenstillstand die Anerkennung seiner Krim-Annexion zu verlangen.
Zuerst wird es bei Twitter zu lesen sein.