Afghanistan-Konferenz 2010: Ringen um eine neue Strategie
Die Bundesregierung arbeitet an einem Konzept für das Treffen in London.
Berlin. Die Kanzlerin hält sich im Moment raus. Vom Vizekanzler weiß man nur, dass er keine reine "Truppensteller-Konferenz" besuchen will. Die SPD sortiert sich gerade neu. Gut fünf Wochen vor der internationalen Afghanistan-Konferenz Ende Januar in London bleibt es in Berlin beim Rätselraten: Mit welcher Strategie für die knapp 4.500 am Hindukusch stationierten Bundeswehrsoldaten fährt Deutschland eigentlich an die Themse?
Im Verteidigungsministerium wie im Auswärtigen Amt, so ist zu hören, arbeiteten Fachgruppen unter Hochdruck. Noch bleibt alles unter dem Deckel. Fast. Der Vorstoß des neuen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), "gemäßigte Taliban" in einen Friedensprozess einzubinden, kommt nicht aus heiterem Himmel.
Die Amerikaner tun es längst. Unter General Stanley McCrystal gilt es als akzeptiert, dass ohne die Einbindung einst übel beleumundeter Kriegsherren und Clanführer vorzugsweise vom tonangebenden Stamm der Paschtunen eine spürbare Änderung der Lage nicht gelingen wird.
Zu den Aufständischen zählen auch junge Kämpfer, die oft nur Geld brauchten. Leute, die sich durch korrupte Regierungsbeamte betrogen fühlten. Drogen- oder sonstige Kriminelle und islamische Fundamentalisten, die noch nicht für eine "Ansprache des Westens" verloren seien.
Sie "regional zu gewinnen für den Wiederaufbau des Landes und die Rückkehr in die Gesellschaft, müsse das Ziel bleiben", sagte der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold unserer Zeitung. Und welches Ziel verfolgt die SPD-Spitze in der Afghanistan-Frage? Arnold möchte sich dazu im Moment "nicht äußern".
Seit Parteichef Sigmar Gabriel am Wochenende vorgeprescht ist - keine weiteren Kampftruppen - freuen sich Union und FDP. Der rasche Kurswechsel der Sozialdemokraten wird dort als "Verzweiflungstat zur Wählermobilisierung" vor der NRW-Landtagswahl im Mai 2010 gedeutet und mit dem Etikett "opportunistische Realitätsverweigerung" versehen.
Gabriels Aussagen stoßen aber auch manchen Genossen in der Partei sauer auf, auch wenn dort die Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Einsatzes vielleicht immer schon größer waren als anderswo.
SPD-Fraktionschef und Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier weiß, dass es schwierig wird, als einziger zentraler Verbündeter in Europa den Amerikanern den absehbaren Wunsch nach mehr Personal abzuschlagen. Unter Fachpolitikern der Fraktion herrscht ein gewisser Unmut über Gabriel, zumal er sein Versprechen vom Dresdener Parteitag - erst gründlich in die Partei hineinhorchen, dann entscheiden - schon wieder vergessen zu haben scheint.
Sein klares "Nein" zu mehr Soldaten, verbunden mit einer als taktisch unklug empfundenen Rücktrittsforderung an Minister Guttenberg mache es Schwarz-Gelb zu leicht, die SPD in die Ecke des "unzuverlässigen Kantonisten" zu stellen.