Analyse: Japanische Revolution an der Wahlurne

Nach Jahrzehnten kehren die Wähler der LDP den Rücken. Yukio Hatoyama wird neuer Premier.

Tokio. Die Japaner wagen einen politischen Neuanfang. Zum ersten Mal seit mehr als einem halben Jahrhundert hat das Volk der Liberaldemokratischen Partei (LDP) an der Wahlurne den Rücken gekehrt. Jener Partei also, die das Land in den Jahrzehnten nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg zu großem Wohlstand und Stabilität führte und der die Bürger dafür Vetternwirtschaft, Skandale und Trägheit duldsam verziehen hatten.

Doch angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheit, rekordhoher Arbeitslosigkeit, sinkender Einkommen und eines Rentenskandals hat das Volk jetzt die Nase voll. So voll, dass es sogar wagt, einer völlig regierungsunerfahrenen Opposition die Führung des Landes zu übertragen. Für Japan kommt das geradezu einer Revolution gleich.

Nun ruht die Hoffnung auf der Demokratischen Partei Japans (DPJ) unter ihrem Vorsitzenden Yukio Hatoyama. Werden der künftige Premier und seine Partei in der Lage sein, Japan aus der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise zu führen? Kritiker bemängeln die populistischen Wahlversprechen der DPJ und sprechen eher von einer Protestwahl als von einem klaren inhaltlichen Auftrag. Nicht Hatoyamas Ausstrahlung, sondern der Frust über die herrschenden Verhältnisse habe den Wechsel bewirkt.

Der einstige Musterknabe der Weltwirtschaft steht vor gewaltigen Problemen. Die Wirtschaft wächst nur geringfügig, die Bevölkerung gar nicht mehr. Reich, alt und voller Ungewissheit, ob der Lebensstandard erhalten werden kann oder der Zerfall der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer unvermeidlich ist, tastet sich Japan voran. Intellektuelle vergleichen die heutige Lage mit der Meiji-Restauration im 19.Jahrhundert und dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Beide Male habe es Japan jedoch geschafft, nach einer großen Umwälzung beziehungsweise Niederlage wieder auf die Beine zu kommen und sich zu erneuern. Die Demokratische Partei muss erst noch beweisen, ob sie dazu in der Lage ist. Sie ist ein heterogenes Sammelbecken aus LDP-Überläufern, Sozialdemokraten und früheren Gewerkschaftern. Politische Analytiker rechnen denn auch erst einmal mit zeitraubenden und komplexen Abstimmungsprozessen - im Inneren wie auch nach Außen.