Analyse: Jeder siebte Deutsche ist von Armut bedroht

Vor allem Kinder trifft es hart. Sie werden frühzeitig aus der Gesellschaft herauskatapultiert.

Wiesbaden. Für die alleinerziehende Berliner Verkäuferin, die im Schichtdienst auch mal bis 22 Uhr arbeitet, reicht es hinten und vorne nicht. "Der Teilzeitjob sichert zwar einigermaßen ihre Existenz, ihr Kind kann sie damit aber nicht optimal versorgen", berichtet Peggi Liebisch vom Verband Alleinerziehender Mütter und Väter. "Die Altersarmut ist auch schon programmiert."

Alleinerziehende und ihre Kinder sind in Deutschland nach Erwerbslosen besonders stark von Armut bedroht, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte. Forscher warnen vor den Folgen für die Heranwachsenden und die Gesellschaft.

Mehr als die Hälfte der Erwerbslosen und jede zweite bis dritte Alleinerziehende sind dem Armutsrisiko ausgesetzt, weil das Geld, das sie zum Leben haben, weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung ausmacht. Nach dieser Definition gilt fast jeder siebte Bundesbürger als armutsgefährdet, im Osten sogar jeder Fünfte.

"Vor allem die verfestigte Armut von Menschen steigt beachtlich", sagt der Armutsforscher Professor Ernst-Ulrich Huster. "Und die Reichen werden immer reicher." Für die vorschulische Erziehung - gerade für Kinder aus armen Familien - müsse viel mehr getan werden, fordert Huster. Dabei seien gut geschulte Kunst-, Musik- und Motopädagogen (Bewegungspädagogen) wesentlich. Eine Chipkarte allein, wie von Bundessozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) vorgeschlagen, motiviere Kinder nicht, sich zu bewegen.

Armen Kindern droht nach Einschätzung von Christian Alt vom Deutschen Jugendinstitut in München das Risiko, aus der Gesellschaft herauskatapultiert zu werden. "Sie haben zu wenig Bildung, zu wenig Integration, zu wenig Freunde und zu wenig Möglichkeiten, dies zu kompensieren." Studien zeigten, dass sie auch nach und nach den Kontakt zu ihren Eltern verlören. Denn bei vielen erwerbslosen Erwachsenen sei das Selbstbewusstsein angekratzt und sie zögen sich zurück.

Der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge sieht eine erodierende Mittelschicht, die sich vor dem sozialen Absturz fürchtet. Fast ein Drittel aller Beschäftigten verdienten nur noch zwei Drittel des Durchschnittseinkommens, sagt der Politologe.