Analyse: Serbien entschuldigt sich für Srebrenica
Mit der Verurteilung der Gräultaten von 1995 werden alte Wunden aufgerissen.
Belgrad. Serbien hat 15 Jahre gebraucht, um sich für das furchtbarste Verbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg zu entschuldigen. Als letzter Staat Europas hat es die Ermordung von 8000 Muslimen durch bosnisch-serbisches Militär verurteilt.
Am 11. Juli 1995 hatten bosnisch-serbische Truppen die von Muslimen bewohnte Stadt erobert. Überwiegend männliche Muslime wurden erschossen und in Massengräbern verscharrt. Doch mit der jetztigen Entschuldigung reißt Srebrenica alte Wunden auf und führt das Land in eigentlich schon vergessene Grabenkämpfe zurück.
Nur rund die Hälfte der Abgeordneten stimmte einer halbherzigen Resolution zu, die peinlich bemüht ist, das Wort Völkermord zu vermeiden und die eigentlich Schuldigen nicht mit Namen zu benennen. Der einzig genannte Militärführer Ratko Mladic ist immer noch auf freiem Fuß. Dennoch sprechen selbst Regierungskritiker von einem Fortschritt, weil das kleine Land sich damit seiner Kriegsvergangenheit stellt.
Politiker und Kommentatoren schätzten sogar, dass in der Bevölkerung mehr als die Hälfte selbst gegen diese entschärfte Verurteilung Srebrenicas ist. Das sei angesichts der vielen serbischen Kriegsopfer auch verständlich.
Viele Serben haben nach eigener Darstellung Angst, dass "selbst unsere Kinder und Kindeskinder" als Kriegsverbrecher in die Weltgeschichte eingehen könnten. Daher hat bisher die Aufarbeitung der eigenen blutigen Geschichte noch nicht so richtig begonnen. Der Staat schweigt. Nur einige unabhängige und vom Ausland finanzierte Gruppen bemühen sich, mit der Sammlung von Unterschriften die Parlamente zum Handeln zu zwingen.
Doch selbst die weltoffenen und nicht vom Nationalismus infizierten Menschen kritisieren die Parlamentserklärung. Die Kritik liegt offensichtlich darin begründet, dass viele enge Mitarbeiter des früheren serbischen Alleinherrschers Slobodan Milosevic heute wieder in Amt und Würden sind.
Und dann gibt es noch eine kleine dritte Gruppe, die an der Srebrenica-Erklärung etwas auszusetzen hat. Für diese Kritiker nutzen die Politiker die Kriegsvergangenheit nur, um von den brennenden aktuellen Problemen abzulenken. Vladimir schreibt an den Sender B92: "Kleine Gehälter, Straßen wie in Ruanda, das Gesundheitswesen existiert nicht mehr, das Bildungssystem auf dem Niveau der schlimmsten Bananenrepubliken - und die Politiker quatschen über die alten Kriegsgeschichten. Eine Katastrophe!"