Analyse: Zweifel an der Pünktlichkeit der Bahn

Die Statistik des Konzerns steht in der Kritik: Nicht alle Verspätungen sind darin aufgeführt.

Berlin. Pünktlichkeit ist eine Zier — insbesondere für ein Verkehrsunternehmen. Das dachten sich offenbar auch die Verantwortlichen der Deutschen Bahn, als sie im September 2011 neue Maßstäbe in diesem Bereich setzen wollten. Eingeführt wurde eine monatliche Pünktlichkeitsstatistik, die werbewirksam an die Medien weitergereicht wird.

Demnach soll die Pünktlichkeit im Fern- und Regionalverkehr im Januar bei extrem hohen 96,5 Prozent gelegen haben. Genau diesen bahnbrechenden Erfolg ziehen nun jedoch drei Wissenschaftler in Zweifel. Der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer sowie der Ökonom Thomas Bauer vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen haben die Erhebung der Bahn zur „Unstatistik des Monats“ gewählt.

„Diese Statistik der Deutschen Bahn sagt überhaupt nichts über die Pünktlichkeit aus“, sagt Thomas Bauer. Das Unternehmen gebe lediglich an, dass 96,5 Prozent aller Haltestellen erreicht werden, ohne mehr als sechs Minuten verspätet zu sein. „Das erzeugt durch die Vielzahl an Haltestellen nahezu mechanisch einen hohen Prozentwert“, erklärt Bauer. Die Bahn rechnet jedoch im Gegensatz zu den Schweizerische Bundesbahnen (SBB) nicht ein, wie viele Züge und Passagiere verspätet an ihrem Zielbahnhof ankommen. Zudem werden Totalausfälle nicht berücksichtigt.

Die Bahn verweist darauf, dass die Kunden nicht an der Pünktlichkeitsstatistik interessiert seien. „Für sie zählt vor allem, ob der individuelle Zug pünktlich ist und ob die Anschlüsse erreicht werde“, sagt ein Sprecher. Im Widerspruch dazu betont das Unternehmen, dass die Pünktlichkeitsstatistik für mehr Transparenz und eine bessere Vergleichbarkeit mit internationalen Bahnunternehmen sorgen soll.

Deshalb habe der Konzern die Systematik der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) übernommen, die Verspätungen bis sechs Minuten in die Messung einbeziehen. „Das ist allerdings eine vollkommen willkürliche Setzung“, glaubt Bauer. In Japan gilt ein Zug bereits mit zwei Minuten als verspätet, in der Schweiz mit drei Minuten. Eine direkte Vergleichbarkeit ist also nicht gegeben, obwohl die Bahn genau das erreichen will.