Ägyptens Reformbewegung stürmt Geheimdienstzentralen

Kairo (dpa) - Drei Wochen nach dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak ist der Kampf um hochbrisante Akten der Staatssicherheit entbrannt. Aktivisten der Demokratiebewegung stürmten am Wochenende Geheimdienstzentralen in Kairo, Alexandria und Assiut.

Sie wollten verhindern, dass die Mitarbeiter der Dienste belastende Dokumente vernichten. Interims-Regierungschef Essam Scharaf ernannte am Sonntag den als „sauber“ geltenden Polizei-General Mansur al-Essawi zum neuen Innenminister. Er soll die öffentliche Ordnung wiederherstellen und zugleich den „Kraken“ Staatssicherheit gründlich reformieren.

Tausende Demonstranten stürmten in der Nacht zum Sonntag die riesige Zentrale des Inlandsgeheimdienstes Muchabarat in der Kairoer Vorstadt Nasr City, berichtete das Internet-Portal „almasryalyoum“. Im Inneren des Gebäudes sammelten sie Akten und Dokumente, um sie den später eingetroffenen Mitarbeitern der Generalstaatsanwaltschaft auszuhändigen. In deren Begleitung befand sich auch der ehemalige Präsident der ägyptischen Richtervereinigung, Sakarija Abdul Asis, ein ausgesprochener Kritiker des Mubarak-Regimes.

Nach dem Bericht des Internet-Portals stießen die Demonstranten auf zahlreiche Dokumente, die die Repressions- und Spitzelaktivitäten der Behörde belegten. Darunter waren Aufzeichnungen von abgehörten Telefongesprächen, die die Oppositionspolitiker Mohammed El Baradei und George Ischak oder der regimekritische Journalist Hamdi Kandil führten. Auch abgefangene E-mails und Protokolle von internen Beratungen der Oppositionsgruppen tauchten auf. Letztere wurden von Informanten angefertigt, die die Behörde in diese Gruppen eingeschleust hatte.

Detaillierte Persönlichkeitsprofile von Regimegegnern und als Islamisten eingestuften Personen fanden sich gleichfalls unter der „Beute“. Bei der Suche nach Gefangenen in dem Geheimdienstbau stießen die Aktivisten allerdings nur auf leere Gefängniszellen. Die dort zurückgelassenen Folterwerkzeuge ließen erahnen, mit welcher Brutalität die Verdächtigen hier behandelt worden waren. Im Keller fanden die Aktivisten zahlreiche Waffen.

Auch in der Hafenstadt Alexandria und in der oberägyptischen Stadt Assiut wurden am Wochenende die Geheimdienstzentralen gestürmt. In Alexandria waren der Aktion heftige Zusammenstöße mit der Polizei vorausgegangen, bei denen ein Demonstrant schwer verletzt wurde. Vor der Muchabarat-Zentrale in der Kairoer Vorstadt 6. Oktober demonstrierten am Samstag hunderte Menschen, nachdem dort Geheimdienst-Mitarbeiter damit begonnen hatten, Dokumente zu verbrennen. Auch vor anderen Staatssicherheitsfilialen im ganzen Land kam es zu Protesten. Überall ging es darum, dass das Militär oder die Staatsanwaltschaft das Aktenmaterial sichern sollte.

Der Geheimdienst hatte in Ägypten in den Jahrzehnten seit der Revolution von 1952 hauptsächlich der Unterdrückung der Bevölkerung gedient. Er betrieb - nach dem Vorbild der ehemals kommunistischen Ostblock-Staaten - ein Netz von Agenten und Spitzeln, das wie ein Krake in alle Bereiche der Gesellschaft reichte. Geheimdienstgefängnisse waren außerdem Orte schrecklicher Folterungen. Die Demokratiebewegung verlangt die vollständige Auflösung der Geheimdienste.

Die Übergangsregierung von Scharaf will allerdings - aus Sorge vor einem Sicherheitsvakuum - nicht so weit gehen. Demnach sollen die existierenden Dienste gründlich reformiert werden, verlautete am Samstag aus Regierungskreisen. Scharaf entließ am Sonntag den bisherigen Innenminister Mahmud Wagdi aus seinem Amt und ersetzte ihn durch den Polizei-General Al-Essawi. Wagdi, der frühere Chef der ägyptischen Gefängnisverwaltung, war noch Ende Januar von Mubarak ernannt worden.

Al-Essawi wird auch in Oppositionskreisen respektiert, weil er sich in früheren Ämtern als Gouverneur der südlichen Provinz Minja und als Vize-Sicherheitschef der Hauptstadt Kairo gegen die Korruption eingesetzt hatte. Seine vordringlichste Aufgabe wird neben der Reform der Geheimdienste die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit sein. Während der Unruhen vor dem Sturz Mubaraks verschwand die stark kompromittierte Polizei gänzlich von den Straßen. Seitdem nahm nach Schätzungen lediglich die Hälfte der Beamten wieder den Dienst auf