Die Großbaustelle der Bundeswehr
Im Juli übernehmen einheimische Sicherheitskräfte die Verantwortung in den ersten Regionen. Doch die Probleme sind groß.
Kundus. Das Gelände ist unübersichtlich. Überall stehen Bagger, Bauarbeiter graben mit Schaufeln im Sand. Neben einem Gebäudekomplex sitzen Soldaten auf dem Boden. Andere spritzen Militärfahrzeuge mit Schläuchen ab. „Die Jungs können zwar kaum Autofahren, aber sie waschen mit großer Hingabe“, beschreibt Thomas B. den Alltag im Camp der afghanischen Armee in Kundus. Die Sicherheitsvorkehrungen, die angespannte Ruhe, die man aus dem wenige Kilometer entfernten deutschen Lager kennt — hier ist nichts davon zu spüren.
Thomas B. ist täglich im Camp, sechs lange Monate. Der Oberstleutnant der Fallschirmjäger leitet ein OMLT (German Operational Mentor and Liaison Team) der Bundeswehr, das afghanischen Soldaten militärische Grundlagen vermitteln soll. Ausbilden, beraten, gemeinsam operieren — so der Sinn des Konzepts, in das die Nato-geführte Internationale Schutztruppe Isaf große Hoffnungen setzt.
Die afghanischen Sicherheitskräfte sollen einmal für die Sicherheit des Landes sorgen. Bereits der Juli wird den Anfang vom Kriegsende markieren: Dann übergibt die Isaf die Verantwortung in sieben Regionen. Dazu zählt mit Masar-i-Scharif auch der Standort des Hauptquartiers der Bundeswehr. Doch unter den deutschen Soldaten sind die Befürchtungen groß, dass die Afghanen überfordert sein werden.
B.’s „Omelett“, wie es im Militärjargon heißt, bildet das 6. Kandak aus — eine Einheit, die mit der Sollstärke von 800 Mann mit einem deutschen Bataillon vergleichbar ist. Ansonsten ist nichts vergleichbar. „Korruption, Vetternwirtschaft, Unterschlagung: Die Armee ist ein legitimes Mittel, um sich zu bereichern“, sagt B.. Probleme seien eine Naturgewalt. „Die interessieren sich auch nicht für die bösen Buben.“
Schon die Rekrutierung ist eine riesige Baustelle. Weil sie in ihren Dörfern keine Perspektive haben, suchen die jungen Männer ihr Glück in der Armee, werden in einem achtwöchigen Kurs unter US-Führung in Kabul an der Waffe ausgebildet. „Natürlich reicht das nicht, um fundiertes Wissen zu vermitteln.“ Zudem seien 85 Prozent Analphabeten.
Auch den Offizieren fehlt das militärische Know-how, etwa in Fragen der Strategie und Feindlagebeurteilung. „Offiziere bekommen schon mit Mitte 20 eine eigene Kompanie.“ Eine gefährliche Unwissenheit im Kampf gegen die radikal-islamischen Taliban.
Der Kommandeur des Lagers ist erst seit fünf Jahren beim Militär. „Da fehlt ihm grundsätzliches Handwerkszeug“, sagt B.. Weil er aus der Volksgruppe der Hazara stamme und damit recht weltoffen sei, falle „die Zusammenarbeit leichter“. Trotzdem könne die Bundeswehr die Einheiten nicht einsetzen, wo sie es für nötig halte. „Die letzte Entscheidung treffen die lokalen Kräfte.“
B. muss stets auch die kulturellen Eigenheiten berücksichtigen. „Wir sollten uns hüten, deutsche Maßstäbe anzulegen.“ Status sei wichtiger als Können, Gesichtsverlust das Schlimmste.
Im Camp demonstrieren beiden Seiten Vertrauen. Da ziehen die Bundeswehrsoldaten ihre Schutzwesten aus, trinken Tee mit den Offizieren. Doch dieses Vertrauen ist angeknackst. Immer wieder gibt es Gerüchte, dass die Taliban die Armee infiltrieren. „Ein Soldat verdient etwa 200 US-Dollar im Monat, ein Übersetzer das Zehnfache.“
Nahrung bekommen die Gerüchte durch Vorfälle wie im Februar, als ein afghanischer Rekrut drei deutsche Soldaten erschoss. B. stand damals zwischen den Fronten. „Die Deutschen waren sehr aufgeregt, mit geladenen Waffen.“ Er zog das betroffene Kandak sofort ab. „Die Afghanen haben sich geschämt.“
Thomas B. will dennoch nicht schwarz in die Zukunft des Landes blicken, denn die Ausbildung der Sicherheitskräfte sei auf einem guten Weg. Dass die letzten deutschen Soldaten Afghanistan wie geplant 2014 verlassen, glaubt er hingegen nicht. „Die Armee muss noch lange auf unsere Artillerie, Aufklärung und Luftunterstützung zurückgreifen. Wir dürfen uns nichts vormachen.“