Im Reich der Widersprüche
Wie sich so manche Klischees vom roten Giganten bei einer vierwöchigen Reise auflösen. Ein Erfahrungsbericht.
Düsseldorf. Ich glaube, die Parteitage der KP sind schuld. In den Tagesschau-Berichten erinnern die immer an UdSSR anno 1975. Eine bessere Erklärung habe ich nicht für meinen großen Irrtum. Ich habe keine Idee, wieso ich noch bis vor kurzem glauben konnte, China sei auch nur ansatzweise kommunistisch.
Nach einem Monat Rundreise durch das Riesenreich bleibt die Erkenntnis: Das Einzige, was augenscheinlich vom Kommunismus übrig ist, sind die Propaganda-Reklame-Motive aus den 50er- und 60er-Jahren, die als History-Kitsch bevorzugt Streichholzschachteln und Notizhefte zieren.
Bis dahin war mein Bild Chinas davon geprägt, was deutsche Medien berichten. Die Farben sind dunkel, die Skizze zeigt ein unfreies Land, eine Gesellschaft am Gängelband der Staatsmacht, eine geschundene Umwelt und Fabriken, in denen Heerscharen von Arbeitern für Billigstlöhne Raubkopien herstellen.
Die Wirklichkeit, die ich erlebe, ist eine hellere. Meine erste Begegnung mit der Staatsmacht etwa ist bloß skurril: Ich sehe ein Elektromobil der Polizei auf der Promenade von Shanghai, das lautstark die Umgebung beschallt, wechselweise mit chinesischer Folklore oder Techno. Einmal laufen sogar die Prinzen — „Deutschland“.
Ich sehe außerdem: Souvenirläden in der Touristenmetropole Hangzhou, die historische Uniformen verkaufen als Relikte aus einer alten Zeit. Ich sehe eine freie Homosexuellen-Szene in Metropolen wie Shanghai und Peking. Ich sehe die sanierten Innenstädte von Suzhou, Nanjing und Xi’an, in denen sich Ketten von Starbucks und McDonalds bis Hermès niedergelassen haben.
Es ist die chinesische Mittelschicht, die immer mehr Lebensgewohnheiten aus dem Westen importiert. Davon zeugt auch das wachsende Nachtleben, das sich längst nicht nur in Karaokebars abspielt, sondern auch in Clubs hiesiger Machart. Für die jüngere Generation ist internationaler Pop so selbstverständlich wie asiatische Modetrends und Urlaubsreisen ins nahe Ausland.
Bei den Terrakotta-Kriegern lerne ich einen jungen Mann kennen. Er studiert Kommunikation, bekennt aber freimütig, dass er seinen Plan, Journalist zu werden, längst fallengelassen hat. Schließlich wisse jeder, dass man bei den staatlichen Medien Informationen filtern müsse, statt sie zu sortieren. Das wolle er nicht. Im Übrigen wüssten die meisten Chinesen, dass sie staatlicherseits nur die Hälfte der Wahrheit erfahren.
Die andere Hälfte holen sich diejenigen, die wollen und können, aus dem Internet.
In Peking finde ich schließlich doch Klischees bestätigt. Auf dem Tiananmen-Platz existiert Rotchina fort, Kommunisten-Deko mit Hammer und Sichel ziert die Gebäude. Abends wird eine Flagge mit militärischer Zeremonie eingeholt.
Die Inszenierung wirkt überholt, doch braucht die Gesellschaft wohl solche Symbolik. Als Kitt angesichts der gewaltigen Umbrüche. Auch, wenn es vielen besser geht, einige bleiben auf der Strecke: Das Regime fürchtet die Sprengkraft der Unzufriedenheit. Bei Fundamentalkritik werden deshalb die Daumenschrauben angezogen.
Trotzdem bin ich mir sicher: Der wirtschaftlichen Öffnung Chinas folgt eine gesellschaftliche. Sie hat schon begonnen — und sie ist unumkehrbar.