Gewaltspirale im Jemen dreht sich weiter: 24 Tote
Sanaa/Berlin (dpa) - Die Präsidentengarde im Jemen schießt mitten in Menschenmengen. In zwei Tagen starben nach unbestätigten Angaben 58 Demonstranten. Hinter dem Blutbad wird der Versuch von Präsident Salih vermutet, eine friedliche Machtübergabe zu torpedieren.
Nachdem schon am Vortag in dem bitterarmen arabischen Land 26 Demonstranten ums Leben kamen, töteten bewaffnete Brigaden am Montag weitere 32 Regimegegner. Allein in der Hauptstadt Sanaa seien 24 Menschen, unter ihnen ein Kind, gestorben, berichteten Ärzte und Helfer eines improvisierten Lazaretts.
In der südlichen Stadt Taiz starben vier Demonstranten, als die Sicherheitskräfte mit Tränengas und scharfer Munition in eine Anti-Salih-Kundgebung schossen, bestätigten Krankenhausärzte.
Die Bundesregierung verurteilte die jüngste Eskalation der Gewalt im Jemen. Das repressive Vorgehen der Sicherheitskräfte provoziere eine Verschärfung der Lage, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Montag in Berlin.
Augenzeugen berichteten in der Hauptstadt Sanaa, Gegner des Präsidenten hätten in der Nacht zum Montag ihre Zeltstadt auf dem „Platz des Wandels“ (Taghier-Platz) vergrößert. Sicherheitskräfte hätten dann am Montag die neuen Zeltbewohner mit Waffengewalt vertrieben. Wie schon am Vortag schossen auch Scharfschützen von Hausdächern in die Menschenmenge. Die meisten Geschäfte blieben am Montag geschlossen, ebenso Schulen und Universitäten.
Am Sonntag hatten Mitglieder der Präsidentengarde nach Angaben der Protestbewegung 26 Demonstranten erschossen. Die jüngsten Ereignisse markieren die blutigste Unterdrückung von Protestkundgebungen seit Monaten. Zehntausende Menschen hatten in Sanaa den Rücktritt Salihs gefordert. Seit Beginn der Proteste im Februar dieses Jahres kamen nach Angaben von Menschenrechtlern rund 450 Menschen durch die Gewalt des Regimes ums Leben.
Der seit 1978 regierende Staatschef lässt sich seit einem Bombenanschlag im Juni, bei dem er schwer verletzt wurde, in Saudi-Arabien behandeln. Seit Mai weigert sich der 69-Jährige beharrlich, einen Plan des Golf-Kooperationsrates (GCC) für eine geordnete Übergabe der Macht zu akzeptieren. Die Protestbewegung fordert kategorisch seinen Rücktritt. Außerdem will sie Salih und mehrere hochrangige Funktionäre vor Gericht stellen.
Für das Blutbad am Sonntag machten Regime-Sprecher die Opposition verantwortlich. Die Sicherheitskräfte hätten in die Menge geschossen, weil Demonstranten versucht hätten, ein Elektrizitätswerk anzugreifen. Die Protestbewegung wies diese Erklärung als haltlos zurück. Die Gegner Salihs bilden allerdings keine einheitliche Front. Zu ihnen gehören linke Parteien, parteilose Jugendliche, desertierte Soldaten, schiitische Rebellen, sunnitische Extremisten und Menschenrechtler. Ein von der Protestbewegung gegründeter Nationalrat wird von einigen dieser Gruppen nicht anerkannt.
Indes traf am Montag der GCC-Generalsekretär Abdul Latif al-Sajjani in Sanaa ein. Seine Mission stehe im Zusammenhang mit dem Machtübergabe-Plan der Golfstaaten, hieß es in Sanaa. Salih hatte zuletzt seinen Vizepräsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi dazu „ermächtigt“, den GCC-Plan in Salihs Namen zu unterzeichnen. Die Opposition hatte diesem Schachzug von Anfang an misstraut.
Das Blutbad der letzten beiden Tage sollte eine politische Lösung des Problems auf der Grundlage des GCC-Plans wohl endgültig torpedieren, meinten Beobachter. Hamid al-Ahmar, ein Anführer des oppositionellen Nationalrates, reagierte auch prompt skeptisch auf Al-Sajjanis Visite: „Wenn er Salih helfen und die Lebenszeit des Regimes verlängern will, dann wäre er besser zu Hause geblieben“, sagte der Oppositionsführer.