Euro 2016 Kein einziger russischer Hooligan nach Gewalt in Marseille gefasst
Marseille. Sie waren „ultra-schnell“ und „ultra-gewalttätig“ - und sie sind allesamt entkommen: Nach der brutalen EM-Randale in Marseille hat die französische Polizei keinen einzigen der beteiligten russischen Hooligans fassen können.
Staatsanwalt Brice Robin sprach am Montag von 150 „extrem trainierten“ russischen Hooligans, von denen keiner festgenommen worden sei. Während die Kritik an der französischen Polizei wuchs, forderten Bundestagspolitiker ein härteres Vorgehen gegen Hooligans.
Die Bilder aus Marseille hatten für Entsetzen gesorgt und den Auftakt der Fußball-Europameisterschaft in Frankreich überschattet: Am Rande der Partie England gegen Russland lieferten sich Fußballfans am Samstag am Alten Hafen von Marseille wahre Straßenschlachten. 35 Menschen wurden verletzt, ein Engländer sogar lebensgefährlich.
Die Gewalt ging offenbar vor allem von organisierten russischen Hooligans aus, die englische Fans attackierten. „Sie waren für ultra-schnelle und ultra-gewalttätige Aktionen vorbereitet“, sagte Staatsanwalt Robin. Die Russen hätten der Überwachung der französischen Sicherheitsbehörden offenbar entkommen können, indem sie nicht mit dem Flugzeug in Marseille gelandet seien.
Dass die Gewalt in erster Linie von den Russen ausging, zeigt sich auch daran, dass fast alle Verletzten Engländer sind. Die Angreifer des noch in Lebensgefahr schwebenden Engländers wurden nach Robins Worten „nicht identifiziert“.
Zehn Festgenommenen - sechs Briten, einem Österreicher und drei Franzosen - sollte noch am Montag in einem Schnellverfahren der Prozess gemacht werden. Die Staatsanwaltschaft forderte Haftstrafen für alle, für die Franzosen außerdem Stadionverbote und für die anderen Einreiseverbote.
Auch in Großbritannien wurden schwere Anschuldigungen gegen die russischen Hooligans erhoben. Der bei der britischen Polizei für die EM verantwortliche Offizier Mark Roberts sagte der Tageszeitung „Guardian“, russische Hooligans hätten sich Zahnschutz und Kampfhandschuhe angezogen, bevor sie auf die englischen Fans losgegangen seien. „Wir wissen, dass einige Messer hatten, weil ein englischer Fan niedergestochen wurde.“
Die russischen Hooligans seien „extrem gut organisiert“ gewesen, sagte Roberts. Auch unter den englischen Fans habe es „Unruhestifter“ gegeben, sie seien aber eine „kleine Minderheit“ gewesen. Russische Hooligans brüsteten sich derweil mit der Gewalt. „Die Engländer sagen immer, dass sie die größten Fußballrowdys sind“, sagte ein Hooligan nach seiner Rückkehr aus Marseille der Nachrichtenagentur AFP in Moskau. „Wir sind hingegangen und haben gezeigt, dass die Engländer Mädchen sind.“
„Die Russen sahen aus wie eine schwarze Todesschwadron“, sagte der britische Fan George Amos der Zeitung „Times“. „Die Polizei stand nur da und hat zugeschaut.“ Der britische Fan-Experte Geoff Pearson von der Universität Manchester warf der französischen Polizei vor, sie sei schlecht mit der Situation umgegangen und habe die englischen Fans nicht geschützt.
Kritik an den französischen Einsatzkräften hatte es schon kurz nach den Krawallen gegeben. Der Polizei wurde vorgeworfen, zu spät eingegriffen zu haben - und dann mit einem wahllosen Einsatz von Tränengas und einem Wasserwerfer auch friedliche Fans getroffen zu haben.
Innenminister Bernard Cazeneuve hatte Vorwürfe gegen die Polizei bereits am Sonntag empört zurückgewiesen. „Es gab keine Schwachstelle“, sagte nun auch Staatsanwalt Robin. Die Partie England gegen Russland war im Vorfeld als Risikospiel eingestuft worden. Das zweite Risikospiel - die Partie Kroatien gegen die Türkei am Sonntag in Paris - verlief zwar ohne Zwischenfälle. Bei weiteren als kritisch eingestuften Begegnungen - Deutschland gegen Polen und England gegen Wales am Donnerstag sowie Polen gegen die Ukraine am 21. Juni - wird aber neue Gewalt befürchtet.
Der sportpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Eberhard Gienger (CDU), forderte angesichts der Bilder aus Frankreich in der „Heilbronner Stimme“ Verurteilungen im Schnellverfahren und mehr Investitionen in Fanprogramme. Der Linkspolitiker André Hahn verlangte für Hooligans Einreisesperren zu Sportgroßereignissen. AFP