Kriegserklärung an den Kreml: Die Terrorangst wächst
Anschläge werfen Schlaglicht auf Konflikt im Nordkaukasus. Islamisten wollen Olympia in Sotschi verhindern.
Wolgograd. Der Doppelanschlag von Wolgograd mit vielen Toten empfinden viele Russen vor den Olympischen Spielen als eine „Kriegserklärung“ an den Kreml. „Zeit und Ort sind bewusst gewählt — die Terroristen wollen im ehemaligen Stalingrad dem Kreml vor seinem Prestigeprojekt Olympia die Stirn bieten“, sagt der Politologe Gleb Pawlowski.
Zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden erschüttert ein Anschlag Wolgograd: Ein Selbstmordattentäter reißt mit einer Bombe in einem voll besetzten Bus mindestens 13 Menschen mit in den Tod. Wie am Vortag, als ein Sprengsatz im Bahnhof detoniert, führt die Spur zu Islamisten in den Nordkaukasus.
Kremlchef Wladimir Putin, dem es in 13 Amtsjahren als Präsident und Premier nicht gelungen ist, Ruhe in die Konfliktregion zu bringen, kündigt nun eine harte Offensive an. Doch schon jetzt tobt in der Vielvölkerregion ein mörderisches Ringen. Kaum ein Tag vergeht in dem Gebiet rund 2000 Kilometer südlich von Moskau ohne Meldungen über Gefechte zwischen Kremleinheiten und Extremisten.
Die Lage im russischen Kernland galt lange als stabil — bis zum Beginn einer Anschlagsserie vor vier Jahren. Seitdem wurden vor allem Transportmittel zum Ziel der Extremisten. Auf sie sind die Menschen im größten Land der Erde aufgrund der oft weiten Entfernungen angewiesen. Hinter vielen Anschlägen vermutet der Inlandsgeheimdienst FSB den tschetschenischen Top-Terroristen Doku Umarow. Erst vor wenigen Monaten hatte „Russlands Bin Laden“ damit gedroht, die Olympischen Winterspiele im Februar in Sotschi mit Attacken zu torpedieren.
Im Frühjahr 2012 schickte Moskau 30 000 zusätzliche Soldaten in die Teilrepublik Dagestan — für Experten ein Zeichen, dass die lokalen Behörden längst nicht mehr Herr der Lage sind. Doch nicht nur mit Panzern versucht der Kreml, die Konfliktregion zu beruhigen. Milliarden pumpt der Staat in das Gebiet, damit ein geplantes Ski- und Wanderressort künftig „Touristen statt Terroristen“ in die Gegend lockt. Daneben investiert der Oligarch Sulejman Kerimow riesige Summen in Fußballschulen des Erstligisten Anschi Machatschkala, um arbeitslosen Jugendlichen eine Perspektive zu geben — und sie dem Einfluss der Islamisten zu entziehen.
Derweil sieht der Generaldirektor des Deutschen Europäischen Sportbundes, Michael Vesper, die Sicherheit im Olympia-Ort Sotschi nicht gefährdet. „Ungeachtet der abscheulichen Terrorakte gehen wir nach wie vor davon aus, dass die russischen Behörden die Sicherheit aller Teilnehmer und des Publikums in Sotschi gewährleisten“, sagte Vesper.