Kritik und Proteste nach russischer Parlamentswahl

Moskau/Berlin/Bonn (dpa) - Tausende Regierungsgegner haben in Russland gegen die unter massiven Fälschungsvorwürfen abgehaltene Parlamentswahl protestiert.

Sicherheitskräfte nahmen in Moskau und St. Petersburg insgesamt mehr als 160 Oppositionelle fest. International stieß die Abstimmung im größten Land der Erde auf scharfe Kritik. Die Bundesregierung sowie US-Außenministerin Hillary Clinton zeigten sich am Montag „sehr besorgt“ über den Ablauf der Wahl. Die Partei von Regierungschef Wladimir Putin errang trotz massiven Stimmenverlusten die absolute Mehrheit der Sitze. Die Abstimmung galt als Stimmungstest für die Präsidentenwahl im März, bei der Putin sich wieder zum Staatsoberhaupt wählen lassen will.

Bei zwei genehmigten Kundgebungen in Moskau protestierten mehr als 6000 Kremlgegner gegen den Ablauf der Abstimmung vom Vortag. Nach dem Ende der Demonstration nahmen die Sicherheitskräfte etwa 60 Menschen fest, die unerlaubt weitermarschieren und einen Polizeikordon durchbrechen wollten. In St. Petersburg kamen mehr als 100 Oppositionelle in Polizeigewahrsam.

Kremlchef Dmitri Medwedew wies nach der Wahl alle Manipulationsvorwürfe zurück. Die Abstimmung sei „ehrlich, gerecht und demokratisch“ verlaufen, verkündete er nach Angaben der Agentur Interfax. Putin bezeichnete den Sieg seiner Partei trotz der massiven Verluste als wichtig für das ganze Land. „Geeintes Russland ist die Partei, auf die sich die Regierung bei ihrer Arbeit stützt“, sagte Putin.

Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bezeichneten die Wahl dagegen als unfair. Auch Menschenrechtler und die Opposition beklagten tausende Verstöße bei dem Urnengang. Im Internet waren Videos zu sehen, die angebliche Fälschungen dokumentierten.

Trotz der Proteste ernannte die Zentrale Wahlkommission die Putin-Partei am Tag nach der Wahl offiziell zum Sieger: Geeintes Russland verliert zwar nach amtlichen Angaben die verfassungsgebende Zweidrittelmehrheit, kann aber mit knapp 50 Prozent der Stimmen auch künftig allein in der Staatsduma regieren. Im Moskauer Stadtzentrum feierten rund 5000 Mitglieder der Kremljugend den Wahlsieg.

Die OSZE kritisierte insbesondere die Nichtzulassung einzelner Oppositionsparteien. Es habe Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauszählung sowie Manipulationen bei der Abstimmung selbst gegeben, teilte die Organisation in Moskau mit. Der stellvertretende Sprecher der Bundesregierung, Georg Streiter, forderte in Berlin, alle Vorwürfe müssten „befriedigend aufgeklärt“ werden. Clinton sagte, der OSZE-Bericht werfe „eine Reihe von Fragen zum Verlauf dieser Wahlen“ auf. „Die russischen Wähler haben eine umfassende Untersuchung aller glaubwürdigen Berichte über Wahlbetrug und -manipulation verdient“, sagte die US-Außenministerin.

Mit knapp 50 Prozent der Stimmen kommt Geeintes Russland auf 238 der 450 Sitze in der Staatsduma, sagte Wahlleiter Wladimir Tschurow in Moskau. Die Putin-Partei blieb aber deutlich hinter ihrem Ergebnis von 2007 zurück, als ihr 64,3 Prozent zugesprochen worden waren. Die Abstimmung galt als Stimmungstest für die Präsidentenwahl am 4. März 2012. Dann will sich Putin, der bereits von 2000 bis 2008 Staatschef war, wieder in den Kreml wählen lassen. Medwedew soll Ministerpräsident werden.

Auch die Grünen-Bundesabgeordnete Marieluise Beck prangerte als unabhängige Wahlbeobachterin „Verzerrungen und Manipulationen“ an. „Es hat viel Chaos gegeben“, sagte Beck der Nachrichtenagentur dpa in Moskau. Kritik kam auch von Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow. „Wir müssen das politische System und die politische Ordnung ändern“, sagte der Ex-Kremlchef dem Radiosender Echo Moskwy.

Im neuen Parlament sind nach Angaben von Wahlleiter Tschurow alle vier bisherigen Parteien vertreten. Die zweitplatzierten Kommunisten kamen gegen Ende der Auszählung auf 19,16 Prozent der Stimmen und 92 Sitze und die moderaten Oppositionspartei Gerechtes Russland auf 13,22 Prozent (64 Sitze). Vierter wurde die ultranationalistische Liberaldemokratische Partei von Wladimir Schirinowski mit 11,66 Prozent (56 Sitze), deren Wahlkampfparolen gegen Kaukasier und Zentralasiaten damit keinen durchschlagenden Erfolg hatten.

Die liberale Oppositionspartei Jabloko, die nach offiziellen Angaben deutlich an der Sieben-Prozent-Hürde scheiterte, will angesichts massiver Fälschungsvorwürfe das Ergebnis nicht anerkennen. Am Wahltag waren nach jüngsten Angaben etwa 300 Menschen bei nicht genehmigten Kundgebungen festgenommen worden. Auch am Montag waren nach einer bisher einmaligen Cyberattacke einige unabhängige Internetseiten weiter blockiert.

Die Wahlbeteiligung wurde mit 60,2 Prozent angegeben. Zur Wahl der Staatsduma waren am Sonntag rund 110 Millionen Bürger aufgerufen gewesen.