Nato-Gipfel Nato: Obama geht, die Atomwaffen bleiben

Der Gipfel ist einer der letzten Auftritte des US-Präsidenten. Er hinterlässt ein Bündnis in der Krise.

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Warschau/Berlin. Für den deutschen Ableger von Putins Propaganda-Sender „Russia Today“ ist Wolfgang Ischinger der Mann der Stunde: Pünktlich zum Nato-Gipfel, der ab Freitag in Warschau tagt, forderte der einflussreiche Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz und frühere Außenamts-Staatssekretär „nicht in die Falle einer Eskalationsspirale zu tappen“. Es gebe, so Ischinger in einem Beitrag für „Spiegel online“, in den westlichen Öffentlichkeiten starke Strömungen, „die Russland im Recht sehen und die Antwort der Nato für überzogen halten.“

Entsprechend konnte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) laut Umfragen mit 64 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung rechnen, als er anlässlich des polnisch geführten Nato-Manövers „Anaconda“ mit rund 31 000 Soldaten „von symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses“ sprach, die nicht zu mehr Sicherheit führten.

Während sich die öffentliche Meinung in Deutschland nach dem NSA-Abhör-Skandal und der anhaltenden TTIP-Diskussion stark gegen US-amerikanische Bevormundungen gedreht hat, beklagen Verteidigungs-Politiker und Militärs das Gegenteil: Das Amerika Barack Obamas verweigere die Führung innerhalb der Nato.

Auch vor diesem Hintergrund halten Nato-Strategen gegenüber der aggressiven Außenpolitik Russlands jede westliche Nachgiebigkeit für völlig falsch. So forderte Karl-Heinz Kamp, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, schon vor Monaten in einem Positionspapier, der Warschauer Nato-Gipfel müsse auch das Thema der Atombewaffnung neu in den Blick nehmen: „Heute geht es darum, ein konventionell unterlegenes Russland abzuschrecken, wobei die Gefahr einer nuklearen Kurzschlussreaktion der russischen Führung stets gegeben ist. Generell ist es schwieriger, eine ,declining power’ wie Russland abzuschrecken, als eine etablierte oder aufsteigende Macht.“

Zwar sei Russland der Nato konventionell insgesamt unterlegen, könne aber „in zwei bis drei Tagen“ große Truppenstärken aus Übungen heraus konzentrieren. Zur Erinnerung: Die militärische Besetzung der Krim flankierte Russland mit Truppen-Übungen, an denen 130 000 Soldaten beteiligt waren. Die Nato beziffert ihre konventionelle Reaktionszeit mit einem Rahmen von fünf bis sieben Tagen. Im Bereich der Atombewaffnung ist die Nato laut Kamp noch langsamer: „Die nuklearfähigen Kampfflugzeuge der Nato, die mit amerikanischen Atombomben ausgestattet werden können, haben eine Reaktionszeit von etwa 30 Tagen.“

Das müsse schneller gehen und auch stärker geübt werden. Fest steht für Sicherheitspolitiker Kamp: „Es entbehrt rückblickend nicht einer gewissen Ironie, dass die Nuklearfrage auf dem Warschauer Gipfel thematisiert werden dürfte, während der amerikanische Präsident dort seinen Abschied von der Nato gibt. War es doch Barack Obama, der 2009 den Friedensnobelpreis für die aus heutiger Sicht unrealistische Idee von der nuklearwaffenfreien Welt erhalten hatte.“

Man darf gespannt sein, für welche Botschaft US-Präsident Barack Obama den Warschauer Gipfel nutzt, der sein letzter großer Auftritt auf der Weltbühne sein wird. Für viele seiner Verbündeten ist der Syrien-Konflikt symptomatisch für zahlreiche falsch gemanagte Krisen, die der außenpolitisch schwächste US-Präsident seit Jimmy Carter hinterlässt: 2013 machte er seine Drohung nicht wahr, Assad im Falle von Giftgas-Einsätzen gegen die eigene Bevölkerung zu bombardieren. Zwei Jahre später flogen russische Kampfjets Bomben-Angriffe für Assad und festigten seine Macht. Putin sprang in das Vakuum, das der Führer der freien Welt geschaffen hatte.

Klaus Naumann, der frühere Generalsinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des Nato-Militärausschusses, erklärte kürzlich in einem Debatten-Beitrag für einen pro-westlichen Think Tank, er sehe die wichtigsten Säulen der Allianz „unter Stress“. Die amerikanische Konzentration auf den Pazifik und Asien habe die Nato geschwächt. Durch Schulden- und Flüchtlingsprobleme sei auch der europäische Nato-Pfeiler beschädigt, am Ende könne der Brexit die EU auch zerstören. Hinzu kämen die russischen Versuche der Schwächung, die neben Desinformations-Kampagnen auch nukleare Drohungen und eine selbstbeschädigende Aufrüstung einschlössen.

Sollten sich diese Trends fortsetzen, so Naumann, könnte die Zukunft der Nato in Gefahr sein. Sie sei und bleibe jedoch „die beste westliche Antwort zur Bewältigung der zukünftigen Gefahren, die beste Chance für den Westen mit Russland zu einer Form der Zusammenarbeit zurückzukehren und die einzige Option des Westens, Herausforderer wie den IS zu besiegen.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg geht davon aus, dass zumindest ein Teil der aus Sicht der Sicherheits-Politiker notwendigen Beschlüsse in Warschau erreicht werden kann. Trotz des Grund-Konfliktes, dass die östlichen Nato-Staaten mehr Militär-Präsenz verlangen und den südlichen Mitgliedsstaaten dies eigentlich zu teuer ist, werden vier „robuste, multinationale Bataillone“ in Estland, Lettland, Litauen und Polen unter der Führung Großbritanniens, Kanadas, Deutschlands und der USA aufgestellt.

Stoltenberg hat die europäischen Nato-Partner und Kanada bewegt, ihre Verteidigungsausgaben um drei Prozent anzuheben. Dies entspreche acht Milliarden Dollar. Zustimmung gibt es auch für ein Nato-Engagement bei der Luftraum-Überwachung gegen den IS und Hilfe gegen Schleuser-Banden im Mittelmeer.