Putin-Partei gewinnt Wahl mit herben Verlusten
Moskau (dpa) - Herber Dämpfer für die Regierungspartei Geeintes Russland von Ministerpräsident Putin. Die Kremlpartei gewinnt nach Prognosen die Parlamentswahl, verliert aber deutlich an Zustimmung.
Ein Dämpfer für die Präsidentenwahl. Kremlgegner beklagen massive Fälschungen.
Geeintes Russland erhielt nach ersten Hochrechnungen 47,3 Prozent, wie die Wahlleitung am Sonntagabend nach Auszählung von einem Viertel der Stimmen mitteilte. Das wäre viel weniger als noch bei der Wahl 2007, als der Partei 64,3 Prozent zugesprochen worden waren.
Damit hätte die Putin-Partei ihre Zweidrittelmehrheit in der Staatsduma verloren und müsste auch um die absolute Mehrheit bangen. Parteichef Putin sagte in einer ersten Reaktion, das Ergebnis gewährleiste die Fortsetzung der stabilen Entwicklung des Landes. Präsident und Spitzenkandidat Dmitri Medwedew wertete das Ergebnis dennoch als Erfolg. Das Resultat spiegele die Stimmung im Land wider, sagte er. Kremlgegner kritisierten massive Wahlrechtsverletzungen.
Bei Protesten der Opposition gegen die Wahl nahm die Polizei allein in Moskau und St. Petersburg fast 200 Regierungsgegner fest. Mehrere kremlkritische Internetseiten waren am Wahltag offenbar durch eine großangelegte Cyber-Attacke lahmgelegt.
Auch die Kommunisten (19,8 Prozent), die moderate Oppositionskraft Gerechtes Russland (12,8 Prozent) und die Liberaldemokratische Partei des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski (11,42 Prozent) schafften der Wählerbefragung zufolge erneut den Sprung in die Staatsduma. Die Wahlbeteiligung lag bei mehr als 60 Prozent, wie Wahlleiter Wladimir Tschurow sagte.
„Die Stimmung in der Gesellschaft ist umgeschlagen“, sagte der Parteichef von Gerechtes Russland, Nikolai Lewitschew. „Es ist schwieriger, der Bevölkerung ein X für ein U vorzumachen.“ Kommunistenchef Gennadi Sjuganow sagte: „Die Wahlen sind vorbei, und es hat wieder massive Verletzungen gegeben.“ Die Partei werde aber nicht zu Demonstrationen aufrufen.
Mit der weltweit beachteten Abstimmung leiteten Putin und Medwedew ihren für 2012 geplanten Ämtertausch ein. Die Wahl galt daher vor dem Hintergrund sinkender Sympathiewerte als Stimmungstest für das Machttandem. Putin, der bereits von 2000 bis 2008 Präsident war, will sich am 4. März 2012 wieder in den Kreml wählen lassen. Medwedew soll dann Regierungschef werden.
Regierungsgegner wie der nicht zur Abstimmung zugelassene Politiker Wladimir Ryschkow sprachen vorab von der „schmutzigsten Wahl“ seit dem Ende der Sowjetunion. Mehrere kremlkritische Internetseiten etwa des Radiosenders Echo Moskwy oder der einzigen unabhängigen russischen Wahlbeobachterorganisation Golos waren den gesamten Wahltag blockiert.
Das Internet galt in einem von Staatsmedien geprägten Umfeld bisher als wichtiger Raum für die Meinungsfreiheit. Viele Russen werfen der von Kritikern als „Partei der Gauner und Diebe“ bezeichneten Kremlpartei Bevormundung und Vetternwirtschaft vor und klagen über Justizwillkür sowie Schikanen.
Allein in Moskau nahm die Polizei bei Protesten mehr als 100 Oppositionelle fest. Landesweit waren 330 000 Sicherheitskräfte im Einsatz, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa nannte die Abstimmung undemokratisch. Wahlkommissionschef Tschurow hatte Fälschungsvorwürfe zurückgewiesen und die Abstimmung „kristallklar und sauber“ genannt.
In dem flächenmäßig größten Land der Erde mit neun Zeitzonen waren insgesamt etwa 110 Millionen Menschen zur Wahl der 450 Abgeordneten für die Staatsduma aufgerufen. Zu der Abstimmung waren alle sieben in Russland registrierten Parteien zugelassen. Regierungsgegner, die einen Machtwechsel anstreben, hatten allerdings keine Partei-Registrierung erhalten und waren von der Wahl ausgeschlossen. Das Parlament wird nach einer Verfassungsänderung erstmals für fünf Jahre gewählt.
Überraschend scharfe Kritik an der Führung in Moskau hatte am Vortag der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), in einem Interview von Deutschlandradio Kultur geäußert. „Putin ist kein Demokrat“, sagte der Vize der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und prangerte einen „Rückfall in sowjetische Muster“ an.
Dabei kritisierte Schockenhoff vor allem das Vorgehen gegen die einzige unabhängige russische Wahlbeobachterorganisation. Die Organisation Golos war von Putin als „Judas“ bezeichnet und wegen angeblichen Verstoßes gegen das Wahlrecht zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der russische Zoll beschlagnahmte einen Computer der Golos-Chefin Lilija Schibanowa zur Auswertung.
Die deutsche Wahlbeobachterin und Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck von den Grünen sagte der Nachrichtenagentur dpa, dass sie bei ihren Besuchen in Moskauer Wahllokalen einen „korrekten Prozess“ gesehen habe. Bei der späteren Beurteilung der Abstimmung seien aber andere Fragen wichtig wie die Arbeit der Staatsmedien sowie der Umgang mit der Opposition in dem Land.