Russland: Polens Luftwaffenchef Schuld an Kaczynski-Absturz
Moskau/Warschau (dpa) - Der Absturz der polnischen Präsidentenmaschine im vergangenen Jahr in Russland ist nach Angaben Moskauer Ermittler von einem angetrunkenen Offizier an Bord verursacht worden.
Mit 0,6 Promille Alkohol im Blut habe Luftwaffenchef Andrzej Blasik die Piloten trotz der Warnung der russischen Flugüberwachung zur Landung gezwungen. Das sagte Luftfahrtexpertin Tatjana Anodina am Mittwoch bei der Veröffentlichung des russischen Abschlussberichts. Bei dem Absturz war Polens Präsident Lech Kaczynski ums Leben gekommen. Sein Bruder Jaroslaw wies den Vorwurf der russischen Ermittler zurück.
Die Tupolew TU-154 mit Kaczynski und 95 weiteren ranghohen Passagieren an Bord war am 10. April 2010 im Wald nahe Smolensk zerschellt. Niemand überlebte.
Blasik habe laut Stimmenrekorder direkt im Cockpit Druck auf die Piloten ausgeübt, sagte Anodina. Auch Kaczynskis Protokollchef habe sich vorschriftswidrig in der Pilotenkanzel aufgehalten. Die Lotsen des Flughafens in der westrussischen Stadt Smolensk hätten wegen Nebels und einer Sichtweite von nur 200 Metern dringend einen Ausweichort empfohlen, sagte die Leiterin des internationalen Luftfahrtamtes MAK. „Eine Landeerlaubnis hat es nicht gegeben.“ Zudem sei die Besatzung der Präsidentenmaschine auf den Flug nach Russland und das dortige schlechte Wetter unzureichend vorbereitet gewesen.
Polens Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski wies den Bericht als „Spekulationen“ und „Hohn für Polen“ zurück. Die Vorwürfe gegen die Piloten seien „völlig einseitig“, sagte der national-konservative Spitzenpolitiker in Warschau. Kaczynski beschuldigte Regierungschef Donald Tusk, die Ermittlungen zur Katastrophe an die russische Seite abgegeben und damit eine Beteiligung der EU verhindert zu haben. Er verwies auf angebliche Fehler der Fluglotsen in Smolensk.
Der polnische Innenminister Jerzy Miller gab Russland aus demselben Grund eine Mitschuld. „Auf eine sichere Durchführung dieses Flugs waren beide Seiten nicht gut vorbereitet“, räumte Miller jedoch ein, der eine polnische Kommission zur Untersuchung der Katastrophe leitet. An diesem Donnerstag will der Minister mit Tusk über das weitere Vorgehen beraten.
Der Bericht könnte das historisch belastete russisch-polnische Verhältnis erneut trüben. Nach jahrelangen Spannungen hatten beide Länder vor kurzem einen Neustart in ihren Beziehungen begonnen. Die Kommission habe den Bericht bereits an Warschau übergeben, teilte das MAK auf seiner Internetseite mit. Dort können 210 Seiten heruntergeladen werden. Insgesamt habe die russische Seite Polen Dokumente im Umfang von 20 000 Seiten zu dem Absturz übergeben, sagte MAK-Chefin Anodina.
Die hochrangige Delegation, darunter auch Lech Kaczynskis Frau, war damals auf dem Weg zu einer Gedenkfeier im westrussischen Katyn, dem Ort eines sowjetischen Massakers an tausenden Polen im Frühjahr 1940. Polens Präsident Bronislaw Komorowski hatte vor kurzem bekanntgegeben, am Todestag seines tragisch verunglückten Vorgängers nach Russland reisen und damit die Aussöhnungspolitik fortsetzen zu wollen.