Separatisten ziehen Referendum in Ostukraine durch
Donezk/Berlin (dpa) - Ungeachtet vielfältiger internationaler Kritik haben prorussische Separatisten in der Ostukraine über eine Abspaltung der Region vom Rest des Landes abstimmen lassen.
Die Anführer der selbst ernannten „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk sprachen am Abend von einer überwältigenden Beteiligung und von hoher Zustimmung für eine Eigenständigkeit. Führungsmitglied Denis Puschilin kündigte an, in einem nächsten Schritt wollten die Aktivisten staatliche und militärische Strukturen bilden.
Der „Volksgouverneur“ von Donezk, Pawel Gubarew, sagte dem russischen Staatsfernsehen: „Das Referendum bedeutet uns alles.“ Die Schaffung eines neuen Staatssubjekts sei aber nur der erste Schritt auf dem Weg zur Bildung eines Landes „Neurussland“ auf dem Gebiet der Südostukraine, betonte Gubarew. Er war unlängst aus ukrainischer Haft gegen gefangene Geheimdienstler freigetauscht worden.
Die prowestliche Regierung in Kiew erkennt die Befragung wie die EU und die USA nicht an. „Das ist nichts anderes als eine Informationskampagne, um Verbrechen zu vertuschen“, sagte Präsidialamtschef Sergej Paschinski am Sonntag in Kiew. Das Außenministerium warf Russland vor, die Abstimmung „inspiriert, organisiert und finanziert“ zu haben. Frankreichs Präsident François Hollande nannte das Referendum bei einem Besuch in Aserbaidschan „null und nichtig“.
Aus Russland gab es zunächst keine Reaktion. Kremlchef Wladimir Putin hatte die Separatisten aufgefordert, das Referendum zu verschieben. In Moskau beteiligten sich etliche Menschen - angeblich alle aus den Regionen Donezk und Lugansk - an einer improvisierten Wahlstation unter freiem Himmel an der Abstimmung.
Aktivisten sprachen am Abend von einer sehr hohen Wahlbeteiligung - angeblich 71 Prozent im Gebiet Donezk und mehr als 80 Prozent in Lugansk. Nach der Auszählung der ersten Stimmzettel hätten höchstens fünf Prozent der Bewohner gegen eine Eigenständigkeit gestimmt, behaupteten die Separatisten.
In der „Volksrepublik Donezk“ betonte Wahlleiter Roman Ljagin: „Die Wahlbeteiligung ist nicht nur hoch, sondern überwältigend.“ Internationale Beobachter waren zu der Abstimmung nicht angereist.
Hingegen betonte die Zentralregierung in Kiew, in weiten Teilen der russisch geprägten Regionen mit mehr als 6,5 Millionen Menschen finde gar keine echte Abstimmung statt. Proukrainische Medien berichteten von massiven Fälschungen. Die Regierungstruppen setzten ihren „Anti-Terror-Einsatz“ rund um die Städte Slawjansk, Kramatorsk und Krasny Liman im Gebiet Donezk fort. Dort seien viele Separatisten getötet worden, behauptete Paschinski.
In Krasnoarmejsk gab es bei einem Militäreinsatz einen Toten und einen Verletzten. Nach Berichten russischer Medien hatten ukrainische Regierungstruppen in einem Wahllokal die Stimmabgabe für das Referendum gestoppt. In einem darauf folgenden Handgemenge fielen mehrere Schüsse.
Die private US-Sicherheitsfirma Academi dementierte Berichte über einen Einsatz von Söldnern in der Ukraine. Academi habe nirgendwo in der Ukraine Personal im Einsatz, sagte Vizeunternehmenschefin Suzanne Kelly am Sonntag bei „Zeit Online“. Kelly dementierte damit einen Bericht der „Bild am Sonntag“. Diese hatte unter Berufung auf Informationen des Bundesnachrichtendienstes (BND) berichtet, dass rund 400 Kämpfer von Academi an der Seite der ukrainischen Armee und Polizei im Osten des Landes im Einsatz stünden.
Fotos und Videos aus den Städten Donezk und Lugansk zeigten lange Menschenschlangen vor Wahllokalen. Einwohner warfen ihre Stimmzettel in durchsichtige Urnen, auf die die schwarz-blau-rote Flagge der „Volksrepublik“ geklebt war. Teilweise waren „Wahllokale“ auf der Straße oder - wie in der Separatisten-Hochburg Slawjansk - direkt an den Barrikaden der moskautreuen Kämpfer aufgebaut.
Mit dem Referendum wollen die prorussischen Kräfte die Bewohner über eine Eigenständigkeit der selbst ernannten Volksrepubliken entscheiden lassen. Ein Anschluss an Russland nach dem Vorbild der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel Krim ist zunächst nicht geplant. Ein Ergebnis der Abstimmung wurde in der Nacht zum Montag erwartet.
Der Westen setzt auf die Präsidentenwahl am 25. Mai zur Stabilisierung der angespannten Lage in der früheren Sowjetrepublik. Bei einem Treffen in Stralsund hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatschef Hollande am Samstag an die Konfliktparteien in der Ukraine appelliert, in einen „nationalen Dialog“ einzutreten und freie Wahlen zu ermöglichen.
Linksfraktionschef Gregor Gysi wollte noch am Sonntag nach Moskau fliegen, um dort Gespräche über die Ukraine-Krise zu führen. „Ich will meinen Beitrag zur Deeskalation leisten“, sagte er auf dem Linken-Parteitag in Berlin. Er wollte sich mit dem Präsidenten der russischen Staatsduma, Sergej Naryschkin, treffen.
Die USA warfen Russland Passivität gegenüber den Separatisten vor. Putin habe seinem Aufruf zur Verschiebung der Volksbefragung keine Taten folgen lassen, teilte das Außenministerium in Washington mit. Moskau habe seinen Einfluss auf die Separatisten nicht geltend gemacht, um die Abstimmung zu verhindern. Putin hatte am Mittwoch eine Verschiebung des Referendums gefordert - dies hatten die moskautreuen Aktivisten abgelehnt.
Die Außenminister der 28 EU-Staaten wollen am Montag in Brüssel über härtere Sanktionen gegen Russland entscheiden. Nach Angaben von Diplomaten sind weitere Einreiseverbote und Kontensperrungen wahrscheinlich. Eine Namensliste sei vorbereitet. Künftig sollen nicht nur Personen, sondern auch Organisationen und Unternehmen von Sanktionen getroffen werden können.