Weiter Kämpfe in Libyen - Nato will Einsatz leiten
Tripolis/Brüssel/Berlin (dpa) - Auch eine Woche nach Beginn der massiven Luftangriffe des Westens auf Libyen beschießen regierungstreue Einheiten weiter Rebellen-Städte.
In Adschdabija im Osten des Landes lieferten sich die Truppen von Staatschef Muammar al-Gaddafi am Freitag erbitterte Kämpfe mit den Aufständischen. Aus der Luft setzte das internationale Militärbündnis seine Attacken gegen Gaddafi-Truppen fort. In Kürze will die Nato den gesamten Militäreinsatz leiten. Frankreich und Großbritannien stellten eine politisch-diplomatische Strategie für ein Ende des Libyen-Konflikts in Aussicht.
In der seit Tagen umkämpften Stadt Adschdabija gelang nach Einschätzung von Augenzeugen keiner der beiden Seiten ein entscheidender Durchbruch. Die Aufständischen bemühen sich, im Schnellverfahren kampfkräftige Formationen für den Kampf gegen die Gaddafi-Truppen auszubilden.
Die Bundeswehr schickt bis zu 300 Soldaten zusätzlich nach Afghanistan, um die Nato-Partner im Libyen-Krieg zu entlasten. Der Bundestag stimmte dem Einsatz deutscher Soldaten in Awacs-Aufklärungsfliegern mit großer Mehrheit zu. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bekräftigte, dass die Bundeswehr nicht in einen Kampfeinsatz in Libyen geschickt werde. Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) behält sich aber eine Beteiligung der deutschen Marine an der Durchsetzung des Waffenembargos gegen das Gaddafi-Regime vor.
Nach tagelangem Streit über ihre Rolle in dem Konflikt beschloss die Nato am Donnerstagabend, die Flugverbotszone in Libyen zu überwachen, die der UN-Sicherheitsrat festgelegt hatte. Aber dabei soll es nicht bleiben. „Wir prüfen aktiv, ob wir eine größere Rolle übernehmen können“, sagte Nato-Sprecherin Oana Lungescu in Brüssel. Diplomaten sagten, die Nato wolle am Sonntag die Übernahme des gesamten Militäreinsatzes beschließen. Die Vereinigten Arabischen Emirate bestätigten als zweites arabisches Land nach Katar ihre Teilnahme an der Militäraktion gegen Libyen.
Nach den Angriffen der Koalition waren in Tripolis am Freitag laute Explosionen zu hören. Ein libyscher Militärsprecher erklärte, dass „mehrere zivile und militärische Einrichtungen in Tripolis“ bombardiert worden seien. Einzelheiten nannte er nicht. Der US-Sender CNN berichtete, Kampfjets hätten Stellungen am Rand der Hauptstadt bombardiert. Ein französisches Kampfflugzeug zerstörte nach Angaben des Generalstabs in Paris eine Artilleriestellung. Das internationale Militärbündnis feuerte im Verlauf des Freitags 16 Tomahawk-Raketen auf Ziele in Libyen ab, wie der Sender Al-Arabija unter Berufung auf die US-Streitkräfte meldete.
Der Nato-Oberkommandeur, US-Admiral James Stavridis, begann am Freitag, die Beiträge der Nato-Verbündeten für die Flugverbotszone zu koordinieren. Benötigt würden „mehrere Dutzend“ Kampfflugzeuge, 10 bis 15 Tankflugzeuge und mindestens fünf Aufklärungsflugzeuge vom Typ Awacs, sagte ein hoher Militär. Der Militäreinsatz wird vom Nato-Kommando in Neapel und dem Nato-Luftwaffenkommando in Izmir (Türkei) geleitet.
Die Übernahme sämtlicher Militäraktivitäten durch die Nato würde nach Ansicht von Nato-Diplomaten de facto das Ende der bisherigen Koalition bedeuten, die von Frankreich, Großbritannien und den USA geführt wird. Ein Leitungsgremium, in dem alle elf bisher an der Operation beteiligten Staaten vertreten sind, werde die Nato politisch beraten. Die Außenminister der Koalition treffen sich am kommenden Dienstag gemeinsam mit Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in London.
Außenminister Westerwelle dringt unterdessen auf eine politische Lösung des Libyen-Konfliktes. Jedem müsse klar sein, dass eine tragfähige Lösung in Libyen nicht alleine auf militärischem Weg gefunden werden könne, sagte er in Berlin. „Was wir brauchen, ist ein politischer Prozess - dieser muss jetzt vorbereitet werden.“
Westerwelle sprach sich abermals für ein komplettes Ölembargo gegen Libyen aus. Er begrüßte die Pläne der Europäischen Union, Sanktionen auszuweiten. „Dem System Gaddafi muss dauerhaft der Geldhahn zugedreht werden“, sagte er. Es sei nicht überzeugend, dass man mit Raketen und Militär in Libyen vorgehe, andererseits aber der Geldhahn nicht völlig abgedreht sei. Beim EU-Gipfel waren zuletzt Differenzen zwischen Deutschland und Frankreich über das weitere Vorgehen im Libyen-Konflikt deutlich geworden.
Nach Berichten libyscher Staatsmedien wurde am Donnerstag eine nicht näher genannte Zahl von Menschen bei Luftangriffen auf die Stadt Tadschura bei Tripolis getötet. Laut Oppositionsmedien handelte es sich bei den Toten hingegen um Regimegegner, die von regimetreuen Milizen ermordet worden seien. Tadschura war vor Wochen ein Brennpunkt der Proteste gegen das Regime von Oberst Gaddafi gewesen. Die Sicherheitskräfte hatten die Proteste mit Waffengewalt unterdrückt.
In Bengasi gingen die Bemühungen um den Aufbau schlagkräftiger bewaffneter Kräfte der Aufständischen weiter. Der Sender Al-Arabija zeigte ein Militärlager, in dem junge Männer an der Waffe ausgebildet werden. Der Nationalrat, das Gegenparlament der Gaddafi-Gegner, hatte erklärt, dass die Regimegegner über rund 1000 eigene Milizionäre verfügen.
In der von Gaddafi-Milizen belagerten Stadt Misurata, 210 Kilometer östlich von Tripolis, berichteten die Aufständischen von einer dramatischen Lage. Die Menschen dort hätten kein Wasser, keinen Strom und keine Lebensmittel.