Satire-Streit Böhmermann, Erdogan und die Zensur-Lust des Auswärtigen Amts
Die Staatsaffäre um ein vermeintliches Schmähgedicht offenbart einen traditionellen Kenntnismangel an Satire-Kultur — auf Regierungsseite.
Berlin/New York. Dank seiner Geburt in Bremen 1981 ist Jan Böhmermann — im Gegensatz zu Angela Merkel — bereits von Kindesbeinen an mit der westlichen Kultur vertraut; praktisch hat er nie etwas anderes kennengelernt. Deshalb ist es für ihn sehr selbstverständlich, in seinem eigenen Schaffen dort immer wieder Anleihen zu machen, man könnte auch sagen: zu kopieren. Das trifft auch auf sein Schmähgedicht über den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan zu, das die Bundeskanzlerin für „bewusst verletzend“ hält. Vor allem ist es geklaut.
Natürlich reichten sie nie an das britische Original heran, aber zwischen 2007 und 2011 hätte die New Yorker Comedy-Truppe „The Whitest Kids U’ Know“ mit ihrer gleichnamigen TV-Show (60 Folgen) durchaus das Zeug gehabt, so etwas wie die amerikanischen „Monty Python“ zu werden. Eine der beliebtesten Lachnummern im Netz (3,9 Millionen Youtube-Aufrufe) ist bis heute der Ein-Personen-Sketch „It’s illegal to say . . .“ (deutsch: „Es ist illegal zu sagen, dass . . .“) von „Whitest Kids U’ Know“-Mitbegründer Trevor Moore.
Darin erklärt Moore, dass es in den USA ein Bundesgesetz verbietet, den Satz „Ich will den Präsidenten der Vereinigten Staaten umbringen“ zu sagen. Diesen Satz wiederholt Moore in absurdesten Varianten — immer, um zu erklären, dass man das nicht darf. Der Witz liegt also darin, den verbotenen Satz nicht zu sagen, sondern zu erklären, dass man das nicht darf und ihn damit doch zu sagen.
Das Vorbild für Böhmermanns Gedicht steht seit Jahren im Netz
Dieses inzwischen neun Jahre alte Muster (und nicht nur dieses) hat Jan Böhmermann so platt kopiert und auf Recep Tayyip Erdogan umgemünzt, dass er eigentlich weniger den Zorn des türkischen Staatschefs, als einen Plagiats-Prozess in den USA fürchten sollte. Das Verrückte an der bisherigen Diskussion um Böhmermanns Schmähgedicht ist: Praktisch niemand führt das US-Vorbild (das wiederum auf anderen fußt) als Beleg an, dass Erdogan als ein der westlichen Alltags- und TV-Kultur weitgehend Unkundiger wahrscheinlich auch Fan-Post an fiktionale Kino-Figuren schreiben würde, weil er zwischen Schauspieler und Rolle, zwischen Fakt und Fiktion nicht zu unterscheiden vermag. Das Bedrohliche daran ist: Die Bundeskanzlerin und ihr Auswärtiges Amt sind offenkundig auch nicht in der Lage, es Erdogan zu erklären. Weil sie es selbst nicht wissen.
Die Beweisaufnahme eines Strafverfahrens träfe Erdogan
Das Auswärtige Amt kann sich ja offenbar auch institutionell nicht merken, dass die Anwendung des unserem Recht völlig fremden „Majestätsbeleidigung“-Paragraphen (kommt weder im römischen noch im mittelalterlichen Recht vor) schon einmal einen zum Despotismus neigenden Herrscher beinahe blöd in die Bredouille gebracht hätte. Das war in den 1960er-Jahren, als der iranische Tyrann Mohammad Reza Pahlavi eine Bestrafung deutscher Studenten nach StGB § 103 verlangte, weil sie bei Demonstrationen gegen ihn „Persien — ein KZ“ auf ein Plakat geschrieben hatten.
Heribert Prantl erinnerte vor einigen Tagen in der „Süddeutschen Zeitung“: „Als Ermittler meinten, man müsse sich in diesem Rahmen auch mit den Zuständen in Persien beschäftigen, wurde das dem Bundesinnenminister Paul Lücke zu heikel. Er reiste eigens nach Teheran und bewegte den Schah zu einem Verzicht auf die Strafverfolgung.“
Für Recep Tayyip Erdogan wäre es ein lehrreiche Erfahrung, sich aufgrund des von ihm angestrengten Verfahrens gegen Böhmermann im Rahmen der Beweiserhebung mit deutschen Ermittlern konfrontiert zu sehen. Denn zur Rechtsfindung wäre es unerlässlich, Sachbeweise zu erheben, inwieweit das Böhmermann-Gedicht tatsächlich einfach intentional diffamierende Pejorative aneinanderreiht (das wäre dann nicht nur beleidigend, sondern der Tatbestand der verbotenen Schmähkritik) oder reale Sachverhalte in einer satirischen Form wiedergibt. Dass Erdogan Minderheiten verfolgt, dürfte sich faktisch belegen lassen. Der Verdacht liegt bei einem unbelehrbaren Völkermord-Leugner ja auch nahe. Der Text-Vorwurf „Kurden treten, Christen hauen“ ist jedenfalls alles andere als aus der Luft gegriffen und einem Sachbeweis durchaus zugänglich. Schon allein das spricht gegen eine strafbare Schmähkritik. Dass ein Despot vom Schlage Erdogans die deutsche Justiz regelrecht anbettelt, ihm seinen Despotismus auch noch gerichtsfest nachzuweisen, wäre jedenfalls nicht ohne Witz.
Sorgen bereiten muss dagegen die ungute und nun offenbar gewordene Tradition des Auswärtigen Amts, im Inland an der Beschränkung der Meinungsfreiheit mitwirken zu wollen, um im Ausland besser dazustehen. Als in den 60er Jahren eine Reform des Strafrechts diskutiert wurde, gab es Pläne für eine sogenannte „Lex Soraya“. Der Plan war, die öffentliche Erörterung von Privatangelegenheiten eines ausländischen Staatsoberhauptes komplett unter Strafe zu stellen — und zwar unabhängig des Wahrheitsgehalts.
Auswärtiges Amt drängte bereits 1962 auf Zensur-Gesetz im Inland
In der Begründung des Gesetzentwurfs hieß es: „Wie zahlreiche Berichte über ausländische Königshäuser beweisen, die seit Jahren laufend in gewissen periodischen Druckschriften erscheinen, werden Einzelheiten aus dem Privat- und Familienleben fremder Staatsoberhäupter oft in schamlosester Weise breitgetreten. Dem notfalls auch mit Strafen entgegentreten zu können, die das Höchstmaß des Strafrahmens nach § 182 überschreiten, ist nicht zuletzt auch im Interesse der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland ein wichtiges Anliegen.“
Der verfassungsrechtlich untragbare Entwurf wurde freilich nie umgesetzt. Das Auswärtige Amt drängte jedoch damals darauf, den Indiskretionsschutz für Vertreter des Auslands — also eine faktische Zensur der deutschen Presse — aus Dringlichkeit vorzuziehen, da von Vertretern ausländischer Staaten bereits gehäuft Beschwerden über die inländische Sensationspresse erhoben worden seien. Wohlverstanden: im Jahr 1962; nachzulesen in der Dissertation „Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes: Historische Entwicklung und aktuelle Gesetzeslage in den Niederlanden“ aus dem Jahr 2005.
Es gibt kein Verfahren ohne Zustimmung der Bundeskanzlerin
Der Düsseldorfer Rechtsanwalt und Strafrechtsexperte Udo Vetter, der als Lehrbeauftragter an der Fachhochschule unterrichtet, verwies gestern darauf, dass der Paragraph §104a StGB (Voraussetzungen der Strafverfolgung) ein Verfahren unter die „Ermächtigungserfordernis“ der Bundesregierung, also der Kanzlerin, stellt.
„Deshalb geht es für Merkel und die beteiligten Ressorts nicht um Paragrafen, sondern ausschließlich um die sinnvollste Lösung im Interesse des Landes. Mit anderen Worten: Selbst wenn Merkel, was sie ja schon öffentlich gemacht hat, Böhmermanns Auftritt für eine Grenzverletzung hält, zwingt sie das nicht dazu, die deutsche Justiz zum Turnierplatz für die Ehre eines ausländischen Staatsoberhaupts zu machen“, erklärt Vetter auf seinem mit dem Grimme-Online-Preis ausgezeichneten „lawblog.de“.
Nach seiner Meinung, so Vetter, habe Merkel viele gute Gründe, den Fall an dieser Stelle zu beenden: „Sie könnte Herrn Erdogan in aller Freundschaft darauf verweisen, dass er jederzeit vor dem deutschen Zivilgericht klagen kann. Auf Unterlassung, zum Beispiel. Oder sogar auf 3 Milliarden Euro Schmerzensgeld. Ich bin sehr gespannt, wessen Wohl Merkel wichtiger ist.“
Am Ende würde es wohl ohnehin nicht zu einer Verurteilung kommen, sondern zu der für alle Beteiligten außer Böhmermann peinlichen Festsstellung, wer alles in der Bundesregierung nicht in der Lage ist, zwischen Meta-Kommunikation und direkter Rede zu unterscheiden, und wer alles nicht so ganz auf der Höhe westlicher Satire-Kultur ist. Erdogan ist jedenfalls nicht der Einzige.
Wenn die #Merkel mit dem #Erdogan ... Eigentlich ist es nicht unsere Art, Geschehnisse fernab der Drogenpolitik zu kommentieren. Jedoch handelt es sich beim Vorgehen gegen Jan Böhmermann um seine "Schmähkritik" unseres Erachtens um eine derartige Beschneidung der Freiheit, daß wir auch unseren Senf dazu geben müssen. Denn Freiheit ist auch das, was uns im Innersten motiviert und jeden Bürger dieses Landes angeht.Doch der Reihe nach: #Böhmermann, der Macher und Moderator des NEO MAGAZIN ROYALE, hatte sich mit einem "bewusst verletzendem Text" (O-Ton Merkel) über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan an seine Zuschauer gewandt. Hintergrund dieser Aktion war, daß der Satiriker Böhmermann im Streit um die türkische Kritik an einer Extra 3-Satire seine Stimme erhob. Erdogan sah sich beleidigt und hatte zuvor diesbezüglich verlangt, demokratische Rechte wie die der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit einzuschränken. Da hagelte es auch noch Kritik sowohl von der Bundesregierung als auch der Opposition. Man dürfe nicht hinnehmen, daß demokratische Rechte eingeschränkt würden, weil jemand sich karikiert fühlt, sagte etwa der EU-Parlamentspräsidnt Schulz. Hier war die Welt noch in Ordnung. Doch nun ergibt sich ein völlig anderes Bild. Für die Kanzlerin gelte, so ihr ewig treuer Vasall und Pressesprecher Seibert, immer noch die Presse- und Meinungsfreihei, aber - und jetzt kommt es- "nicht schrankenlos". Dem Gusto nach wurde die betreffende Sendung nicht nur aus dem sonstigen Programm des ZDF entfernt, sondern umgehend auch aus der ZDF-Mediathek. Das ist ein Maulkorb, wie ihn auch Erdogan in seinem Land erteilen würde. Dem halten wir entgegen: Wenn unsere Grundwerte und Freiheitsrechte nicht universell sind und nicht überall und jederzeit schrankenlos gelten, dann sind sie nicht das Papier wert, auf dem sie stehen. Der Bürger, wir alle, werden so zum Untertan in einem Bevormundungsstaat. Merkel und ihre Regierung wünscht sich nicht den freien Bürger, den kritischen Zeitgeist, den aufgeklärten Menschen, sondern den konformen und reglementierten Ja-Sager, der obrigkeitshörig, feige und bar jeder Zivilcourage als Mitläufer fungiert. Das können wir nicht sein, das wollen wir nicht sein. Deshalb hier von uns für euch das entsprechende "Schmähgedicht" aus der mittlerweile zensierten Sendung. Seht euch das Video an. Teilt es, verbreitet es. Seid ungehorsam. Stay blazed! Euer Team von Marlene Mortler absetzen und The Cannabis Club - All In A Blaze
Anders als Trevor Moore spart ZDF-Mann Jan Böhmermann (35) in seinem Schmähgedicht nicht an Beleidigungen. Die Aufzeichnung der ZDF-Neo—Sendung „Neo Magazin Royale“ vom 31. März, in der Böhmermann seine Reime vortrug, wurde vom ZDF zunächst aus der Mediathek gelöscht, mittlerweile ist sie ohne das Gedicht aber wieder zu sehen. Auf anderen Videoplattformen wie Vimeo gibt es die Verse aber dennoch.