NRW Unfallopfer werben für Blitz-Marathon

René Heinen wurde als Zweijähriger schwer verletzt. Ein Unfall, der auch das Leben seiner Mutter prägt. Kontrollen sollen solche Schicksale verhindern.

NRW: Unfallopfer werben für Blitz-Marathon
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Düsseldorf. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD), der wegen seines alljährlichen Blitz-Marathons von politischen Gegnern immer wieder heftig kritisiert wird, bleibt bei dem Thema unbeirrt. Auch in diesem Jahr wird es wieder eine solche großflächige Aktion gegen Raser geben: Am 21. April von 6 bis 22 Uhr werden sich neben NRW und der Mehrheit der Bundesländer auch mehr als 20 europäische Staaten an den Radarkontrollen beteiligen.

Und Jäger holt sich Verbündete an die Seite: Verkehrsunfallopfer und Organisationen, die sich um diese kümmern — medizinisch wie bei der Durchsetzung von Rechten. „Wir nutzen den diesjährigen Blitzmarathon, um auf das Schicksal der Unfallopfer und ihrer Angehörigen, aber auch den unermüdlichen Einsatz der Helfer aufmerksam zu machen“, sagt Jäger. Und dann lässt er vor Journalisten die Leverkusenerin Ursula Heinen sprechen.

Es ist bedrückend, der 68-Jährigen zuzuhören. Wie sie sich an den 5. Juni 1980 erinnert. An den Moment, als ein Motocross-Fahrer ihren zweijährigen Sohne René, der sich wegen des lauten Motorengeräusches von ihrer Hand losgerissen hatte, durch die Luft schleuderte. Sie erzählt von den bangen Wochen und Monaten, die sie an seinem Krankenbett saß, von dem Luftröhrenschnitt, den vielen Operationen. Von den Problemen, die der heute 37-Jährige hatte und hat, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

René Heinen selbst sagt nur ein paar Worte bei dieser Pressekonferenz in der Staatskanzlei. Nein, Angst im Straßenverkehr habe er nicht. Er kennt das Ereignis, das sein und das Leben seiner Mutter bestimmte, ja auch nur aus Erzählungen. Seine Mutter spricht davon, wie die Familie in die soziale Isolation rutschte, wie Freunde auf Distanz gingen. Und wie sie doch in einem denkwürdigen Moment erkannte, dass der Kampf, die von ihr ausgerechneten 28 000 Stunden, die sie über ihre normale Erziehungsarbeit hinaus geleistet hat, es wert waren.

René war nämlich über einen Fußballworkshop der ZNS-Hannelore Kohl Stiftung, die sich um Menschen mit Schädel-Hirn-Verletzungen und ihre Angehörigen kümmert, zum Behindertensportverband gekommen. Sie erzählt, wie tief gerührt sie war, als ihr Sohn da plötzlich für die Deutsche Nationalmannaschaft im Tor stand. Wie die Nationalhymne gespielt wurde bei der Europameisterschaft 2014 in Portugal.

Und doch ist sie verbittert, wenn sie beklagt, dass Unfallopfer so allein gelassen werden. Das sieht auch Wilfried Echterhoff, Vorsitzender der Verkehrsunfall-Opferhilfe, so: „Der Schädiger gibt den Fall an seine Versicherung ab, und dann ist er damit fertig. Und das Opfer muss den oft jahrelangen Kampf mit der Versicherung aufnehmen.“

Dass darüber eine ganze Familie nicht selten in die soziale Isolation rutscht, weiß auch Helga Lüngen, Geschäftsführerin der ZNS-Hannelore Kohl Stiftung. Die Folgen einer Schädelhirnverletzung reichen von Beeinträchtigungen in der Konzentration, Wahrnehmung und Reaktion bis hin zum Verlust der Bewegung, Sprache oder des Gedächtnisses. 270 000 Menschen erleiden jedes Jahr ein solches Schicksal, davon etwa 70 000 durch Unfälle im Straßenverkehr. Wie auch die Heinens begrüßt Lüngen den Blitz-Marathon als öffentlichkeitswirksame Maßnahme, die das Denken an die Unfallopfer ins Licht rückt.

„Es geht uns um den Schutz vor schweren Verkehrsunfällen, deren Folgen für die Opfer oft eine lebenslange Belastung sind“, betont auch Innenminister Jäger, der den Blitz-Marathon als „bewährten Baustein der Strategie, Temposünder zu erwischen“ sieht. Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, hingegen kritisiert das Ganze als „PR-Aktion“ des Innenministers. Bereits jetzt seien die Polizisten an der Grenze ihrer Belastbarkeit. „Verkehrssicherheit ist wichtig, aber Show-Maßnahmen auf Kosten unserer Polizei kann NRW sich nicht erlauben.“