Das Dilemma Afghanistan

Deutsche Soldaten müssen im Einsatz töten – eine Tatsache, die lange geschönt wurde.

Berlin. Reichen die Einsatzregeln aus, um in der verschärften Sicherheitslage in Afghanistan bestehen zu können? Der junge Kommandeur der "Quick Reaction Force", einer speziellen Eingreiftruppe der Bundeswehr überlegte nur kurz, bevor er antwortete: "Ja. Sie sind nach den jüngsten Klarstellungen ausreichend. Wir kämpfen hier. Und zur Not müssen wir auch töten. Man darf das in Deutschland nur nicht wegreden."

Spricht man mit Soldaten in Kundus, wird genau das aber getan: weggeredet. Die Nachricht, nicht die Tanklaster, sondern diverse Taliban-Führer seien das vordringliche Ziel des von Oberst Georg Klein angeordneten Bombenabwurfs am 4. September gewesen, hat in der Truppe die Verunsicherung weiter wachsen lassen. Über Äußerungen verschiedener Politiker, die am Wochenende plötzlich von einem nicht Mandats-konformen Vorgehen Kleins sprachen, schütteln "wir hier nur den Kopf", sagte ein Soldat am Sonntag.

Die Gründe sind nachvollziehbar. "Wer uns angreift, der wird auch bekämpft." Der Satz stammt von Ex-Verteidigungsminister Franz-Josef Jung. Oberst Georg Klein, sagen seine Untergebenen in Kundus, habe Jung nur abgewandelt: "Wer uns absehbar bald angreifen wird, wird vorher unschädlich gemacht."

Das Dilemma kurz beschrieben lautet so: Helfen, wiederaufbauen, schützen und (nur zur Not) kämpfen - das waren seit 2002 die vier Säulen des deutschen Engagements in Afghanistan. Dass vor allem rund um Kundus seit Monaten das Kämpfen im Vordergrund steht, räumen Politiker von CDU, SPD und FDP hinter vorgehaltener Hand ein, "wurde aus Angst vor dem Wähler nie aufrichtig kommuniziert".

Dabei sieht die Wahrheit so aus: Unter Beteiligung deutscher Soldaten werden dort Taliban-Kämpfer gejagt und getötet. In die Nachrichten schaffen es diese Fälle so gut wie nie. Und wenn doch, dann in einer rhetorischen Darreichungsform, die niemanden hierzulande verstören soll.

Die erste Meldung des Verteidigungsministeriums nach dem Luftangriff war so überschrieben: "Erfolgreicher Einsatz gegen Aufständische im Raum Kundus". Beleg: "...wurden über 50 Aufständische getötet." Im Klartext: Die Bundesregierung belobigte am 5. September das, was sie heute im Lichte der vielen zivilen Opfer gern ungeschehen machen würde. Auf Befehl eines deutschen Kommandeurs wurden Menschen weggebombt. "Jeder wusste, dass das so ist. Es ging nie um die Tanklaster", sagte dazu der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold.

Als nach dem Luftangriff selbst die US-Truppenführer murrten, trat Angela Merkel vor den Bundestag und nahm in ihrer Rede eine feine Unterscheidung vor: "Jeder in Afghanistan unschuldig zu Tode gekommene Mensch ist einer zu viel", argumentierte sie und setzte hinzu: "Unschuldig verletzte und zu Tode gekommene Menschen auch und gerade infolge deutschen Handelns" bedauere sie zutiefst. Was nur einen Schluss zulässt: Es gibt für Merkel auch solche Menschen, die am 4. September schuldig ihr Leben ließen. Meinte sie vielleicht Taliban-Führer, die sich in der Nähe der Tanklastwagen befanden?

An dieser Stelle hätte Merkel die Gelegenheit gehabt, aufzuräumen mit der "scheinheiligen Kategorisierung guter Einsatz, böser Einsatz", finden Fachpolitiker der FDP. An dieser Stelle hätte Angela Merkel der Nation reinen Wein über das wahre Ausmaß des Afghanistan-Einsatzes einschenken können.